Nassim Nicholas Taleb
Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen
Ich habe das Buch "Antifragilität" von Nassim Nicholas Taleb lange auf meiner Hör- und Leseliste vor mir herschoben, die 20 Stunden Hörzeit sind auch bei 1,5 facher Geschwindigkeit "ein Brett". Dafür habe ich es dann direkt zweimal gehört. Einmal weil es wirklich Aufmerksamkeit erfordert. Und zweitens weil es ein wirklich ausgezeichnetes Buch ist.
Aber auch wenn "Antifragilität" und vor allem seine Anwendung und Auswirkungen anspruchsvoll ist, lässt sich das dahinter stehende Prinzip schnell erklären.
- Fragilität: Fragile Systeme sind zerbrechlich. Das heißt, Stressoren (wie z.B. Zufall, Unordung, Zeit, Chaos, Variabilität) fügen diesen Dingen Schaden zu. So sind z.B. Gläser fragil und tragen beim Versand einen dicken Aufkleber "fragil". Wenn Du ein Glas 100 mal aus 1 cm Höhe auf den Tisch fallen lässt, passiert nichts. Ein einmaliger Sturz aus 100 cm wird das Glas zum Zerbrechen bringen. Alles was fragil ist, geht irgendwann zu Grunde.
- Antifragilität ist das Gegenteil von Fragilität und umfasst alles, was von zufälligen Ereignissen und Erschütterungen mehr profitiert als es Schaden nimmt. Und weil Nassim Nicholas Taleb für diese Phänomen in keinem Sprachraum ein Wort fand, hat er mit Antifragilität eben sein eigenes Wort kreiert. Antifragile Systeme freuen sind über Unordnung und Chaos. Sie sind nicht nur robust dagegen, sondern profitieren sogar von Stressoren . Um das Beispiel mit dem Glas fortzuführen: Ich stelle mir Antifragilität wie einen Flummi vor. Während das Glas beim Sturz kaputt geht, weil es fragil ist, freut sich der Flummi. Der Flummi ist antifragil, das Glas fragil.
- Robustheit: Robustheit oder auch Resilienz sitzt neutral zwischen den Polen der Fragilität und der Antifragilität. Das heißt, Schocks haben weder negative noch positive Auswirkung. Das wäre in der Analogie zu oben ein Holzklotz. Lässt Du ihn aus einem Meter fallen passiert nicht. Kein Schaden, aber auch keine positive Entwicklung.
Das gesamte Buch ist schlussendlich eine Herleitung und Überführung dieses Prinzips, verbunden mit vielen Beispielen, einem Streifzug durch alle möglichen Lebensbereiche wie Medizin, Philosophie und Wirtschaft und das permanente Aufzeigen, wo uns Fragilität oder eben Antifragilität begegnet. Dabei sind bei mir insbesondere in Bezug auf die Entwicklung von Unternehmen, die folgenden Punkte hängen geblieben bzw. habe ich die folgenden Schlüsse gezogen.
- Allgemein solltest Du Beweise für eine Abwesenheit nicht mit der Abwesenheit von Beweisen verwechseln. Das heißt, nur weil Du noch keinen schwarzen Schwan gesehen hast, ist das kein Beweis für das Nicht Vorhandensein von schwarzen Schwänen.
- Die Natur ist Großmeisterin im Bereich "Versuch und Irrtum". Überlege also gut, wo Du dich über die Natur stellst und versuchst einzugreifen, statt Mutter Natur einfach mal ihren "Job" machen zu lassen. Es mag Dinge geben, die wir nicht erklären können und die trotzdem ihren guten Grund haben.
- Die Schädlichkeit von Maßnahmen tritt oft erst mit enormer zeitlicher Verzögerung auf. So wurde das Rauchen auch lange für harmlos bzw. sogar gesund gehalten.
- Zu starker Interventionismus fördert Fragilität. Das heißt, wer alles kontrollieren will und immer eingreift, der fördert Fragilität.
- Menschen sind nachweislich schlecht darin das Verhalten komplexer Systeme (und damit auch von Organisationen) vorherzusagen.
- Variabilität fördert Antifragilität und Konstanz dagegen Fragilität. Ohnehin ist Stabilität ohne Volatilität nicht zu haben. Das heißt, Du solltest ab und an auch mal Abweichungen von der Norm anstreben und ein wenig Unordnung zulassen, um Antifragilität zu fördern.
- Eigentlich sollten wir nicht nach robusten Organisationen streben. Stattdessen solltest Du die Entwicklung einer antifragilen Organisation anstreben.
- Lieber viele kleine Fehler als einen großen. Ein klarer Appell bei Innovationen auf viele Experimente, Zufall und "strukturiertes Chaos" zu setzen, also versuchen mit großen Projekten einen Masterplan umzusetzen.
- Fragile Systeme und Unternehmen tendieren zu kleinen Gewinnen bei großen versteckten Risiken, die in einem "schwarzen Schwan" enden können. Also extrem seltene Ereignisse mit unvorhersehbaren negativen Auswirkungen.
- Zu starker Fokus auf Effizienz fördert Fragilität. Das heißt, zu starke Optimierung und das letzte aus der Zitrone ausquetschen zu wollen, fördert Fragilität. Da kann man sich ja mal all die Unternehmen anschauen, die im Controlling- und Outsourcing Wahn der 90er Jahre ihre IT ausgelagert haben. Eine unmittelbare Ableitung daraus ist der Versuchung zu widerstehen, alles fein säuberlich abtrennen zu wollen. Das erinnert mich stark an den Appell von Yves Morieux in seinem Buch "Six simple rules", der darin für ein wenig "Fuzziness" plädiert im Vertrauen auf die Selbstorganisation.
- Ein wenig Unordnung, Desorganisation und Chaos wirken stärkend. Das heißt, all die Vertreter der Chaos Familie bzw. der VUCA Welt fördern die Antifragilität eines Unternehmens.
- Agile Strukturen und Selbstorganisation fördern Antifragilität, Top Down Management dagegen Fragilität. Das heißt, agile Organisationen sind den "funktionalen Abteilungen" überlegen zumindest solange Antifragilität dein Ziel ist. In Bezug auf Organisationen könnte das Credo also lauten, die Entwicklung antifragiler Organisationen anzustreben. Dabei ist nur ein kleiner Fun-Fact, dass "agil" bereits in "antifrAGIL" enthalten ist.
- Handlungen sind wichtiger als Meinungen (und Powerpoints). Für mich ein klarer Appell, mehr in agilen Prozessen zu denken und echte empirische Erkenntnisse zu sammeln, statt mit top down Planungen zu versuchen, Dinge vorwegzunehmen, die wir nicht verstanden haben.
- "Nicht handeln" bzw. auch die Bereitschaft Dinge wegzunehmen, statt immer mehr dazu zu bauen, wird als Strategie oftmals unterschätzt. Wir leiden unter dem "Action Bias", statt auch einfach mal Dinge wegzunehmen. Siehe dazu auch das Experiment "Less is more: why our brains struggle to substract".
Dies ist nur ein kleiner und spontaner Auszug und weit davon entfernt, den Anspruch zu haben, das Buch zusammenzufassen.