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31. März 2023

von

Andreas Diehl

Das Valve Handbuch für neue Mitarbeiter

31. März 2023

Agilität

Bei Valve bekommen neue Mitarbeiter das “Valve Employee Handbook” ausgehändigt. Darin beschreibt das US-Softwareunternehmen wie sich neue Mitarbeiter zurecht finden und was sie bei Valve erwartet. Und das Buch hat es in sich. Denn statt einem genauen Einarbeitungsplan und einem definierten Job, erwartet Mitarbeiter der Hinweis, dass ihr Tisch Rollen hat und sie sich doch bitte eigenverantwortlich um Projekte kümmern. Denn Valve setzt komplett auf Selbstorganisation.

A fearless adventure in knowing what to do when no one’s there telling you what to do.

Valve Handbook for New Employees

In diesem Beitrag präsentiere ich meine sechs Highlights des “Valve Handbook for New Employees”.  Ich bin mir sicher, dass das Valve Handbuch auch bei Dir für den ein oder anderen “Aha-Moment” sorgt.

#1 – Dein Tisch hat Rollen

You were not hired to fill a specific job description. You were hired to constantly be looking around for the most valuable work you could be doing.

Valve Handbook for New Employees

Valve erwartet, dass Du dir selbst Arbeit suchst. Dabei sollst Du an den Projekten mitwirken, von denen Du glaubst, dass sie den größten Wert für den Kunden stiften und deine Kompetenzen am besten eingesetzt sind. Damit übernimmst Du 100% der Verantwortung für den sinnvollen Einsatz deiner Zeit und Arbeitskraft. Dabei kannst Du natürlich jederzeit auch dein eigenes Projekt ins Leben rufen. Den Weg dahin beschreibt Valve relativ simpel: 

  1. Come up with a bright idea 
  2. Tell a coworker about it 
  3. Work on it together
  4. Ship it!
Comic mit einer Anleitung wie Du Dir Arbeit suchst. Quelle: Valve Handbook.
Anleitung dir Arbeit zu suchen – © Valve Handbook for New Employees

Die Kenner der Lean-Philosophie werden darin das Lean Prinzip “Shoujinka” erkennen.

#2 Cabals – Interdisziplinäre Teams

Valve organisiert sich über multidisziplinäre Projektteams sog. “Cabals”. Nachdem Du also entschieden hast deine Arbeitskraft in einem der Cabals einzusetzen, bist Du ein 100% Mitglied des Teams und kannst von Beginn an eigene Ideen einbringen . Dabei werden neue Ideen im Cabal Prozess aufeinander abgestimmt und in einem “play-testing, feedback, review, and editing” Prozess permanent weiter entwickelt. Die Idee der Cabals ist in diesem Beitrag ausführlich beschrieben. Damit hat Valve schon vor 20 Jahren dokumentiert, was wir heute unter dem Begriff Agiles Arbeiten zusammenfassen und was mit Frameworks wie Scrum mittlerweile im Mainstream angekommen ist.

#3 Community und Kommunikation

Egal ob es darum geht, herauszufinden an welchen Projekten gearbeitet wird, in welchem Cabal deine Mitarbeit wertstiftend sein könnte, aus deinen Fehlern zu lernen oder die Bewertung Deiner Leistung zu erfahren. All das legt Valve in die Hände deiner Kollegen. Der persönliche Austausch und das Community Building sind informeller Bestandteil der Arbeitskultur, Valve ermutigt dich lediglich mit so vielen Kollegen wie möglich zu sprechen. 

Comic mit Situationen in denen Du mit Deinen Kollegen kommunizieren kannst. Quelle: Valve Handbook
Reden, reden, reden – Kommunikation als Schmiermittel zur Selbstorganisation –  © Valve Handbook for New Employees

#4 Bezahlung

Auch die Bezahlung der Mitarbeiter folgt einem offenen, jedoch strukturierten Bewertungsprozess durch deine Kollegen. Dabei bewerten dich deine Teammitglieder in den folgenden vier Dimensionen, um deinen Wertbeitrag für Valve und seine Kunden zu quantifizieren: 

  1. Skill Level/Technical Ability
  2. Productivity/Output
  3. Group Contribution
  4. Product Contribution

Diese Bewertung ist Grundlage für die jährliche Anpassung deines Gehalts. Gleichzeitig versucht Valve deinen Gehaltsvorstellungen bei Einstellung weitgehend entgegen zu kommen. Schließlich entscheidet sich dein wahrer Wert dann ohnehin schon nach deinem ersten Jahr und wird nach oben oder nach unten angepasst.

#5 Die Rolle eines “Leaders”

Besonders eindrucksvoll finde ich, wie Valve die Rolle eines Team-Leads definiert. 

Often, someone will emerge as the “lead” for a project. This person’s role is not a traditional managerial one. Most often, they’re primarily a clearinghouse of informa- tion. They’re keeping the whole project in their head at once so that people can use them as a resource to check decisions against. The leads serve the team, while acting as centers for the teams.

Valve Handbook for New Employees

Statt also die Rolle als eine traditionelle Führungskraft zu definieren, verstehen sich Team-Leads als Servant-Leader für ihr Team und stellen sicher, dass Informationen zirkulieren und Entscheidungen aufeinander abgestimmt sind. Die Wichtigkeit des freien Informationsflusses ist übrigens in der Lean Philosophie als Yokotenkai bekannt. Selbstredend, dass es bei Valve keine Titel gibt. Das heißt, Leute, die zu Valve als “Senior xy” kommen, um “Vice Super Senior xy” zu werden, werden bei Valve nicht fündig. Das ist dann auch besser. Für die betreffende Person, aber ganz sicher auch für Valve. 

#6 – Recruiting ist oberste Priorität bei Valve 

Hiring well is the most important thing in the universe.

Valve Handbook for New Employees

Schließlich ist das Recruiting die wichtigste Aufgabe jedes Valve-Mitarbeiters. Denn auf Grund der Struktur und der sehr ungewöhnlichen Kultur, kann ein einzelner Mitarbeiter einen großen Unterschied machen. Im Guten wie im Schlechten. Deswegen sieht Valve es als Pflicht jedes Mitarbeiters, alles stehen und liegen zu lassen, wenn er sich um das Hiring neuer Kollegen kümmert. Wenn neue Kandidaten evaluiert werden, sollen sich Valve-Mitarbeiter die folgenden kritischen Fragen stellen:

  • Würde ich wollen, dass diese Person mein Boss ist?  
  • Könnte ich sehr viel von dieser Person lernen?
  • Was wäre, wenn diese Person für die Konkurrenz arbeiten würde?

Dabei möchte Valve am liebsten “T-shaped” Mitarbeiter, also Mitarbeiter die ein breites Wissen und viele Fähigkeiten mitbringen und in wenigen davon absolute Experten sind.

Schaubild zeigt einen Planeten „Hiring“ mit drei Planetenringen. Darunter steht der Text: „Hiring well is the most important thing in the universe. Everything else in our world is subordinate to finding great people and keeping the bar high.“ Quelle: Valve Handbook.
Hiring ist die wichtigste Aufgabe für jeden Valve Mitarbeiter – © Valve Handbook for New Employees

Meine offenen Fragen an Valve

Valve ist weit davon entfernt zu behaupten heute schon alles perfekt zu machen. Sie gestehen sich ein, z.B. nicht gut darin zu sein, Informationen auch über verschiedene Produktbereiche hinweg zirkulieren zu lassen. Aber bekanntlich ist Selbsterkenntnis ja ein wesentlicher Schritt auf dem Weg zur Besserung.  

Auch ich hatte beim Lesen des Handbuchs noch viele offene Fragen. Ich habe hier meine gelistet und sie bereits an Valve geschickt.

  1. How do you handle all the backend/admin stuff such as finance? Is that also run by voluntary people?
  2. strategy / vision / purpose. How do you make sure that people stay aligned? Is this kind of a self-fulfilling prophecy? As you have a strong entertainment/gaming brand only people join who want to work on that? Or could I join Valve and start working on a new SaaS solution (assuming I can make sure I get a handful of people joining me)?
  3. What about all the spending/budgets beyond payroll? Assuming I run a new project and I need funding beyond people, who is the man I need to go to? 
  4. Is there a formal way to align projects making sure too many people do not work on the same issue? 
  5. How many people do you have in total? (der letzte Wikipedia Eintrag ist aus 2016)

Wenn Du auch eine Frage hast, hinterlasse sie gerne in den Kommentaren, ich nehme sie in meine Liste mit auf.

Fazit – Sehr mutig und wegweisend

Ich bin fest davon überzeugt, dass solche selbstorganisierten Arbeitskulturen die Zukunft sind. Und ich danke Valve, dass sie so offen sind, ihre Erfahrungen und Philosophie zu teilen und damit ein tolles Beispiel abzugeben. Auch wenn Valve dabei lange nicht so konkret in seinen Ausführungen ist wie z.B. Spotify, finden sich im Valve Handbuch viele wertvolle Impulse und Dinge, die uns zum Nachdenken anregen.

Und natürlich fällt all das bei einem Unternehmen viel leichter,  in dem die Gründer noch Teil des Unternehmens, keine Investoren involviert sind und es von Anfang an Teil der Kultur war. Jedoch kannst Du dich jederzeit und jeden Tag fragen, was Du mit zur Arbeit bringst, um eine solche Kultur zu ermöglichen. 

Viel Erfolg dabei.

Signatur des Blog Autors Andreas Diehl.

Zusätzliche Ressourcen

Buch

Download: Valve Handbuch

Das Valve Handbuch zum Download. Mein besonderes Highlight: dein Tisch hat Rollen, damit Du dir deine Arbeit suchst. Sehr lesenswert.

Cover: Valve. Handbook for New Employees. Fearless adventure in knowing what to do when no one’s there telling you what to do.

Über den Autor

Profilbild von Andreas Diehl

Andreas Diehl

Mein Name ist Andreas Diehl. Ich blogge und berate zu OKR, digitaler Unternehmens- und agiler Organisationsentwicklung. Futter für meine Beiträge sind 22 Jahre Digital Business und Erfahrungen aus über 12 Jahren Beratung.


4 Antworten

  1. Avatar von Andreas Diehl
    Andreas Diehl

    Gute Frage Uwe. Leider gibt sich Valve sehr bedeckt, jeder Versuch über die Pressestelle ein wenig mehr zu erfahren ist gescheitert.:)

    Ich glaube persönlich, dass Unternehmen viel tun können, damit das einfacher ist. 1. keine Zielvorgaben, sondern selbstbestimmte Ziele, 2. keine plumpen Karotte / Esel bzw. Belohnung / Strafe Mechanismen, sondern ehrliche Selbsteinschätzung, 3. selbstbestimmte Arbeitszeiten und damit auch mal eine Entscheidung, ob ich vielleicht mal eine gewisse Zeit pausiere. Das erfordert natürlich eine Kultur in der sich Leute nicht permanent darüber definieren wie busy sie waren und in der ehrlicher über echte, kundenrelevante Outcomes und gemeinsame Anliegen gesprochen wird statt über KPI und nackte Zahlen. Und Unternehmen, die anerkennen, dass Arbeitszeit und echte Leistung (solange wir das auf Outcomes beziehen) unabhängig voneinander sind.

    Ist ein großes Spannungsverhältnis zwischen einer hohen Leistungskultur und der Bereitschaft Leuten eine hohe Autonomie zu gewähren. Leider gehen die meisten Unternehmen davon aus, dass das ein unüberwindbarer Spagat ist. Auch wenn die Wissenschaft und Selbstbestimmungstheorie uns seit Jahrzehnten was anderes lehrt. Nur kriegst Du 100 Jahre Taylor nicht so einfach aus den Unternehmen. Und auch nicht aus den Leuten.:)

  2. Avatar von Uwe Haentjes
    Uwe Haentjes

    Hallo Andreas, ich finde den Beitrag über Valve wahnsinnig spannend, weil diese Aufstellung das Grundbedürfnis der Menschen nach Sicherheit kaum erfüllen kann. Wie kann ich in einem so aufgestellten Unternehmen meinen Leuten das Gefühl geben, dass sie auch in einer schwierigen Phase ihres Lebens Rückendeckung bekommen, wenn sie eine gewissen Zeit keine Performance bringen?

    Viele Grüße

    Uwe

  3. Hi Phil,

    absolut, in jedem Unternehmen braucht es unterstützende Abläufe, die z.T. gewissen Restriktionen unterliegen (wie z.B. eine Buchhaltung sich an rechtlichen Vorgaben orientieren muss). Leider habe ich noch keine Antworten erhalten, ich habe es über die Webseite und persönlich über LinkedIn versucht.

    Ich bleibe aber dran und aktualisieren den Beitrag, sobald ich erfolgreich war.

    Viele Grüße,
    Andreas

  4. Lieber Herr Diehl,

    toller Beitrag! Derartige Organisationen wird es zweifelsohne künftig mehr geben.
    Auch wenn fundamentale, unternehmerische Fragen wie Finanzmanagement und Strategie teils nicht hinreichend gewährleistet werden können, wie Sie es in Ihren Fragen an Valve thematisieren.

    Aktuell schreibe ich an einer Hausarbeit über flache Organisationen und wollte Sie daher fragen, ob Sie eine Antwort auf die Fragen erhalten haben, die Sie an Valve geschickt hatten.

    Beste Grüße

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