Chasm-Marketing – Dem “Chasm” ein Schnippchen schlagen
Der “Chasm” beschreibt Hürden und Widerstände, an denen technologiebasierte Innovationen beim Übergang in den Massenmarkt scheitern. Als Antwort darauf beschreibt Geoffrey Moore mit dem Chasm-Marketing vier Maßnahmen, um den Übergang von der Early Majority in den Massenmarkt erfolgreich zu gestalten.
- Segmentierung: Fokussiere dich auf ein ausgewähltes Kundensegment des Mainstream-Marktes, in dem Du Aussicht auf Marktführerschaft hast.
- Whole Product: Verfolge einen konsequenten “Whole Product” Ansatz.
- Positionierung: Positioniere dein Angebot als bessere Wahl zu existierenden Produkt- und Markt-Alternativen.
- Distribution & Pricing: Wähle das richtige Distribution- und Pricing-Setup für dein Produkt, um die Early Majority für dich zu gewinnen.
In diesem Artikel findest Du eine detaillierte Darstellung der Chasm-Strategie, Beispiele und wie Du die Chasm-Strategie erfolgreich umsetzt.
Der “Chasm” - Warum Chasm-Marketing wichtig ist
Um die Aussagen des Chasm-Marketing zu verstehen, ist es hilfreich, die Konzepte und die Thesen von Geoffrey Moore aus “Crossing the Chasm” zu kennen. Seine Kernaussage: Technologiegetriebene Innovationen scheitern beim Übergang in den Massenmarkt. Denn hier entsteht eine Kluft, ein “Chasm”, weil es Startups und Innovatoren nicht gelingt, die “Early Majority” zu erreichen. Das Chasm-Marketing ist die Antwort und beschreibt Strategien, um diese Zielgruppe zu gewinnen und den Chasm erfolgreich zu überwinden.
Die Besonderheiten der Early Majority
Chasm Marketing heißt, die Zielgruppe der “Early Majority” zu erreichen. Während Du erste Kunden mit deiner Innovation und Vision begeisterst, besteht die Early Majority aus Pragmatikern. Und die wollen vor allem Gewissheit, den richtigen Anbieter unter den bestehenden Markt-Alternativen zu wählen. Diese Zielgruppe unterscheidet sich von Innovatoren und Early Adoptern wie folgt:
- Die Early Majority ist nicht zu Experimenten bereit.
- Lösungen müssen durch Einfachheit und Standardisierung überzeugen.
- Die Inbetriebnahme muss mit minimalem Zeit- und Lernaufwand einhergehen.
- Die Early Majority orientiert sich am Markt, an Studien- und Branchenstandards. Das heißt, dein Produkt wird immer im Vergleich zu existierenden Lösungen bewertet.
Im Gegensatz zu vorherigen Marktphasen und Zielgruppen erfordert dies ein Um- und Weiterdenken auf mehreren Ebenen.
Anti-Beispiel “Segway”
Ein gutes Beispiel für die Wichtigkeit des Chasm-Marketing ist der Segway, der bei seiner Vorstellung als revolutionäres Transportmittel galt. Doch trotz großer Begeisterung erster Kunden und Innovatoren, wie z.B. Steve Jobs ist für den Segway der Übergang in den Massenmarkt gnadenlos gescheitert. Die Gründe dafür kannst Du ebenfalls mit den vier Eckpfeilern des Chasm-Marketing erklären.
- Segmentierung: Segway fokussierte sich nicht klar genug auf ein spezifisches Kundensegment. Statt einen klaren Markt (z.B. Pendler oder Logistik) zu bedienen, blieb der Nutzen diffus, und es wurde keine bestimmte Zielgruppe angesprochen, in der die Aussicht auf Marktführerschaft bestand.
- Whole Product: Es fehlte eine konsequente Umsetzung des Whole Product-Ansatzes. Der Segway wurde als technologische Innovation eingeführt, aber das Produktumfeld (Infrastruktur, Regulierungen) war nicht ausreichend entwickelt, um ein rundum funktionierendes Produktangebot bereitzustellen. Es fehlten z.B. auch klare Richtlinien zur Nutzung.
- Positionierung: Der Segway positionierte sich nicht klar gegenüber existierenden Alternativen und bewährte Fortbewegungsmittel. So war der Segway weder ein direkter Ersatz für Fahrräder, Roller oder Autos, noch konnte er sich als beste Alternative in einer klaren Nische durchsetzen.
- Distribution & Pricing: Der hohe Preis und das unklare Vertriebskonzept verhinderten den Zugang zum Massenmarkt. Mit einem Preis von ca. 5.000 US-Dollar und ohne durchdachte Distributionsstrategie konnte der Segway die Early Majority nicht erreichen. Die meisten potenziellen Käufer sahen keine Notwendigkeit, so viel Geld für eine Technologie auszugeben, die keinen klaren Mehrwert bot.
Die vier Eckpfeiler des Chasm-Marketing
Um nicht in die gleiche Falle zu tappen wie Segway und Antworten auf die Anforderungen der Early Majority zu finden, gehst Du gemäß des Chasm-Marketing in vier Schritten vor:
- Segmentierung: Finde das Kundensegment, in dem Du Aussicht auf Marktführerschaft hast.
- Whole Product: Verfolge einen konsequenten “Whole Product” Ansatz.
- Positionierung: Positioniere dein Angebot als bessere Wahl zu existierenden Produkt- und Markt-Alternativen.
- Distribution & Pricing: Wähle das richtige Distribution- und Pricing-Setup für dein Produkt, um die Early Majority für dich zu gewinnen.
Am Beispiel von "Box" erfährst Du weiter unten, wie das gelingen kann.
Schritt 1: Segmentierung
Im ersten Schritt des Chasm-Marketing steht die Frage, welche Segmente das größte Potential haben bzw. in welchen Du Aussicht auf eine Marktführerschaft hast. Um Zielgruppen zu segmentieren und zu analysieren, empfiehlt Geoffrey Moore eine ganze Reihe von Fragen, die sich prima als Arbeitsfragen für einen Workshop eignen.
- Zielkunde: Gibt es einen klaren, leicht erreichbaren und finanziell starken Käufer?
- Compelling Reason to Buy: Ist das Problem dringend genug, dass ein Käufer es sofort lösen will?
- Whole Product:: Können wir eine vollständige Lösung mit Partnern in den nächsten drei Monaten bieten?
- Partner und Verbündete: Haben wir die nötigen Beziehungen, um das Produkt zu liefern?
- Distribution: Haben wir einen Vertriebskanal, der den Zielkunden erreicht?
- Pricing: Ist der Preis mit dem Budget des Kunden und dem Nutzen vereinbar?
- Wettbewerb: Hat ein anderer Anbieter das Problem bereits gelöst und den Markt besetzt?
- Positionierung: Ist das Unternehmen glaubwürdig als Anbieter für die Nische?
- Nächster Zielkunde: Hat die Nische Potenzial, unser Eindringen in angrenzende Märkte zu unterstützen?
Auf Basis dieser Frage formulierst Du unterschiedliche Kundensegmente. Bei dieser Übung beobachtet McKinsey, dass wir in der Segmentierung oft zu oberflächlich sind, dass aber analog zum Chasm-Marketing, Segmentierung eine Basis erfolgreicher Strategie ist.
McKinsey, Have you tested your strategy lately.The degree to which a market is segmented significantly influences resource allocation and thus the likelihood of success: dividing the same businesses in different ways leads to strikingly different capital allocations. What is the right level of granularity? Push within reason for the finest possible objective segmentation of the market: think 30 to 50 segments rather than the more typical 5 or so.
Im Verständnis des Chasm-Marketing ist dein Ziel, dass Du mit deinem Angebot Marktführer in diesem Kundensegment werden kannst. Dieser Ansatz erinnert mich stark an die Ideen von Peter Thiel in “Zero to One”. Ausgehend von dieser dominierenden Position erschließt Du im Verständnis des Chasm-Marketing dann die nächste logische Zielgruppe (Pinball-, Domino-Effekt).
Keine griffigen Kundensegmente in Sicht
Sofern Du dich noch nicht auf ein Segment fokussieren willst oder das noch nicht ersichtlich ist, schlägt Geoffrey Moore folgendes vor:
- Versuche nicht den “Chasm” zu überwinden
- Wachse nicht weiter, halte die Kosten so niedrig wie möglich.
- Nimm weiterhin frühe Projekte von “Early Adoptern” an.
- Suche weiter nach einem brauchbaren Zielmarkt.
Das heißt, eine erfolgreiche Segmentierung und die Zuversicht, in diesem Segment Marktführer werden zu können, ist die absolute Grundvoraussetzung für erfolgreiches Chasm-Marketing.
Schritt 2: Definiere dein “Whole Product”
Der zweite wichtige Baustein des Chasm Marketing, ist die Definition eines “Whole Products”. Denn während Käufer in den frühen Marktphasen noch bereit sind, Abstriche zu machen, erwartet die Early Majority Einfachheit und Standards. Dabei verwendet Geoffrey Moore das folgende einfache Modell, um dein Whole Product zu definieren.
- Standards & Procedures
- Additional Software
- Additional Hardware
- System Integration
- Installation and Debugging
- Change Management
- Training and Support
Diese Leistungen musst Du nicht alle alleine bereitstellen, sondern kannst diese auch über strategische Partnerschaften erreichen. Es ist nur wichtig, dass Du dein Produkt ganzheitlich definierst und betrachtest. Schließlich erwartet die Early Majority Einfachheit, leichten Zugang und minimalen Aufwand.
Schritt 3: Positionierung
Der dritte Schritt des Chasm-Marketing ist, die richtige Positionierung zu finden. Dazu gibt “Crossing the Chasm” folgende Tipps. Relevant ist dabei im Sinne des Chasm-Marketing die Ansprache der Early Majority. Um die Entwicklung der Kommunikation entlang der Technology Adoption Cycles zu sehen, habe ich jedoch alle Marktphasen aufgenommen.
- Innovators - Name it and frame it. Im ersten Schritt musst Du dein Produkt benennen, um Innovatoren für dich zu gewinnen, denn Kunden können nichts kaufen, was sie selbst nicht einordnen können. Das ist ein einfacher Satz, der beschreibt, was dein Produkt leistet und macht. Beispiel: XY ist ein CRM, das deine Kundendaten verwaltet und basierend auf Transaktionsdaten automatisch segmentiert.
- Early Adopter - Who for and what for. Um Early Adopter zu gewinnen, shiftest Du die Positionierung und Kommunikation zu Anwendungsfällen und Potentialen. Denn diese Zielgruppe will vor allem die Wirkung und Potentiale verstehen. Beispiel: Mit unserem CRM XY arbeiten Vertriebler dreimal so schnell und verbessern ihre Kundenbeziehung deutlich.
- Early Majority - Competition and differentiation. Für dein Chasm-Marketing brauchst Du eine Ansprache für die Early Majority. Diese Zielgruppe sucht Marktvergleiche und -referenzen, um zu wissen, was sie erwarten und zahlen sollen. Beispiel: Das CRM XY ist der führende Anbieter für KI-gestützte Vertriebssoftware..
- Late Majority - Financials and futures. Die Late Majority braucht vor allem Vertrauen, Stabilität und Sicherheit. Denn diese Kunden kaufen nur, wenn sie Vertrauen in die Beständigkeit des Anbieters haben. Beispiel: Microsoft und IBM sind vertrauenswürdige Marken für konservative Käufer.
Chasm-Marketing heißt also, die Early Majority mit den richtigen Aussagen zu erreichen und dabei vor allem den Fokus von Produkt auf Markt orientierte Kommunikation zu richten. Das heißt, es geht nicht um die einzigartigen Features deines Produktes, sondern darum, deine Lösung im Vergleich zu anderen zu positionieren.
Geoffrey MoorePositioning is the most discussed and least understood component of high-tech-marketing.
Schritt 4: Distribution und Pricing
Der vierte Schritt, den Chasm zu überqueren, ist eine passende Distributions- und Preisstrategie. Das heißt, Du definierst, über welche Kanäle dein Produkt zu deinen Kunden kommst. Gehst Du über Partner, klassischen Direktvertrieb, über Plattformen oder setzt Du auf Kundenakquise durch digitales Marketing.
Darüber hinaus muss deine Preisstrategie zum gewählten Distributionskanal passen (Du kannst ja auch keine Premium Produkte auf dem Flohmarkt verkaufen). Vor allem aber muss dein Pricing auch zur Zielgruppe der Early Majority passen. Denn während Early Adopter noch höhere Preise akzeptieren, weil sie vor allem die Vision und den Innovationswert kaufen, wägt die Early Majority den erwarteten Geschäftswert gegen die Kosten deiner Lösung ab. Das heißt, deine Preisstrategie basiert auf den folgenden Eckpfeiler und Ideen.
- Skimming / Penetration: Dein Produkt ist anfangs teurer und wird mit zunehmender Marktreife und Eintritt in den Massenmarkt günstiger
- Value-Based Pricing: Preise orientieren sich am erwarteten Geschäftswert und haben für Kunden einen positiven und kurzfristigen Return on Investment.
Chasm-Marketing Case Study: Box
Ein gutes Beispiel für eine erfolgreiche Umsetzung des Chasm-Marketing ist der Enterprise Content Management (ECM) Anbieter "Box". Box musste sich einerseits gegen erfolgreiche Startups wie Dropbox und Platzhirsche wie Microsoft mit Sharepoint differenzieren. Box brauchte also ein gutes Chasm-Marketing, um den Übergang in den Massenmarkt erfolgreich zu gestalten.
- Segmentierung - Box fokussierte sich gezielt auf mittelständische Firmen in stark regulierten Branchen wie Gesundheitswesen und Finanzsektor. Diese Kunden benötigten einfache, aber dennoch hochgradig sichere Cloud-Lösungen.
- Whole Product - Auf Basis seiner Segmentierung priorisierte Box Features, wie Sicherheit, Datenkontrolle, Compliance-Tools (z.B. HIPAA, FINRA) und die Integration mit anderer Business-Software wie Salesforce oder Microsoft Office. So entstand aus Sicht der Kunden eine "Whole Product Lösung”, die einfach ohne Kopfschmerzen und Medienbrüche eingesetzt werden konnte.
- Positionierung - Box stellte sich bewusst als sichere und skalierbare Lösung dar, indem es Themen wie Datensicherheit, Compliance und benutzerdefinierte Zugriffsrechte in den Vordergrund stellte. Damit schaffte Box eine erfolgreiche Differenzierung gegenüber Dropbox und Microsoft Sharepoint.
- Distribution & Pricing - Box setzte auf ein Freemium-Modell und bot flexible Preisoptionen für verschiedene Unternehmensgrößen, was es Unternehmen ermöglichte, klein zu starten und bei Bedarf zu skalieren.
Fazit - Chasm-Marketing ist eine anspruchsvolle Denksportaufgabe
Das Netz ist voll von gehypten Startups, die den Übergang in den Massenmarkt nicht geschafft haben. Vielleicht liegt es daran, dass gerade technisch versierte Gründer die gleiche Sprache wie Innovatoren sprechen und mit ihrer Vision auch “Early Adopters” begeistern. Dieser Erfolg beruht im Kern auf der ureigenen Idee, Kompetenz und Vision der Gründer. Aber mit zunehmender Marktreife sind Kunden nicht mehr so einfach zu kriegen. Mit Eintritt in den Massenmarkt gewinnen die Pragmatiker Oberhand - Leute, die klaren Business Value erwarten und sich nicht mehr so sehr von dem “Startup Glamour" begeistern lassen. Das verlangt einen völlig neuen und strategischen Blick auf den eigenen Markt und das eigene Produkt. Das Chasm-Marketing ist eine gute Grundstruktur, um sich kritische Fragen zu stellen und einen Anlauf zu nehmen, den Chasm erfolgreich zu überwinden.
Viel Erfolg dabei.
Andreas Diehl
Vom Kenner zum Könner
Als Gründer der dno stehe ich dir für dein Anliegen zur praktischen Anwendung gerne persönlich zur Verfügung.
1:1 Coaching
Ich nehmen mir Zeit deine Fragen zu beantworten. Schnell, einfach, unkompliziert auch ohne Beratungsmandat.
Vorträge & Schulungen
Wir präsentieren und erklären das Thema live auf deinem Event in internen Mitarbeitern Lunch & Learns oder Schulungen.
Anfrage sendenBeratung & Workshops
Sofern Du weiterführende Unterstützung benötigst, stell dir einen unverbindlichen Strategiecall ein, um dein Anliegen zu besprechen.
Anfrage senden