EduScrum – Die agile Revolution des Lernens
EduScrum ist eine kollaborative Lernmethode, mit der Du Scrum Prinzipien und Arbeitsweisen auf Lern- und Bildungsangebote anwendest. Dabei delegiert eduScrum die Verantwortung für die erfolgreiche Gestaltung des Lernprozesses vom Lehrer an die Lernenden.
In diesem Beitrag zeige ich dir, wie ein eduScrum funktioniert, welche Verantwortungen daraus für den Lernenden und den Dozenten resultieren und welche unternehmerischen Anwendungsszenarien es für eduScrum gibt.
Woher kommt eduScrum?
EduScrum wurde 2011 vom niederländischen Lehrer Willy Wijnands begründet. Seitdem wurde das agile Lernkonzept mit Schülern, Studenten, Lehrern und Professoren aus aller Welt ausprobiert und auf Basis ihres Feedbacks angepasst. Mittlerweile ist eduScrum eine zertifizierte Methode, die auch vom Scrum Gründer Jeff Sutherland unterstützt wird.
eduScrum vs Scrum - Die wichtigsten Gemeinsamkeiten und Unterschiede
EduScrum ist wie Scrum ein Rahmenwerk, das Regeln für die Zusammenarbeit in einem Team definiert. Dabei setzt eduScrum wie auch Scrum auf wichtige agile Prinzipien:
- Offene und regelmäßige Kommunikation.
- Selbstverpflichtung und Selbstorganisation.
- Transparenz über den Lernprozess für alle Beteiligten.
- Inkrementeller Ansatz, d.h. konkreter Lernfortschritt in kurzen Zeitintervallen, um Lernziele zu optimieren und Risiken zu kontrollieren.
- Überprüfung und Anpassung des Vorgehens auf Basis empirischer Erkenntnisse.
Dazu definiert eduScrum in seinem Rahmenwerk analog zu Scrum auf drei Säulen, deren Zusammenspiel im eduScrum Guide beschrieben und definiert ist:
- Verantwortung, das heißt, wer hat welche Verantwortungen und Aufgaben im Team?
- Events, das heißt Aktivitäten im Team, um der Zusammenarbeit einen Rahmen geben.
- Artefakte, das heißt Hilfsmittel, Werkzeuge und gemeinsame Taxonomien, um die Zusammenarbeit zu unterstützen.
Der primäre Kontext eines eduScrum sind schulähnliche Lernsituationen mit Lerngruppen (z.B. eine Schulklasse) und regelmäßige Unterrichtseinheiten. In diesem Rahmen nutzt Du eduScrum für fest definierte Lernprojekte. Diese Lernprojekte entsprechen dann dem Produkt analog zu einem Scrum. Das gesamte Lernprojekt wird in einem Sprint erledigt, zwischendurch werden sog. “Sprintje” abgehalten. Wie der genaue Ablauf ist, erkläre ich dir weiter unten. Zudem findest Du am Ende Einsatzmöglichkeiten für ein eduScrum im unternehmerischen Umfeld.
Produkt | Lernprojekte und damit verbundene Lernziele sind das “Produkt”. Sie werden gerade bei der erstmaligen Durchführung eines eudScrum durch den Product Owner definiert (assigned) oder bei einer gewissen Reife der Klasse auch frei durch das Lernteam bestimmt (self assigned). Dieses Lernprojekt enthält mehrere “Stories” bzw. größere Lernpakete. |
Team | Ein eduScrum Team besteht aus einem Product Owner (dem Lehrer), einem Lernteam von 3-7 Mitgliedern und einem eduScrum Master. |
Sprint | Der Sprint umfasst die gesamte Dauer des Lernprojektes. Das heißt, es gibt nur einen großen Sprint von mehreren Wochen. Wie lange der Sprint dauert, hängt von deiner Ausgangssituation und dem Lernprojekt ab. Wenn Du nur 2 Unterrichtseinheiten pro Woche hast, wird ein Sprint für das gleiche Lernprojekt länger dauern, als wenn Du 10 Einheiten pro Woche hast. Der eduScrum Sprint ist analog zu einem Scrum durch ein Planning, Review und eine Retro eingerahmt. |
Sprint Ziel | Das Sprint Ziel sind messbare Bildungsergebnisse, die durch den eduScrum Product Owner definiert sind. |
Sprintje | Ein “kleiner Sprint” entspricht z.B. einer Woche oder einer Unterrichtseinheit. Das definiert der eduScrum Guide nicht weiter. |
Bei der genauen Ausgestaltung des Sprints und der jeweiligen “Sprintje” bist Du frei in der Gestaltung. Wichtiger als eine exakte Prozessabfolge ist der “Lernfluss”, da sind deiner Kreativität keine Grenzen gesetzt, solange Du nicht die grundlegenden Ideen und Prinzipien von eduScrum verletzt.
Das eduScrum Team
Das eduScrum Team besteht aus einem Product Owner, dem eduScrum Master und den Lernenden.
The teacher determines the Why and the What, the students determine the How.
- Product Owner: In einem eduScrum ist der Dozent der Product Owner. Aus dieser Rolle heraus definiert der Product Owner Lernziele und -inhalte. Dabei ist der Dozent für messbare Outcomes und Bildungsergebnisse verantwortlich. Mit zunehmender agiler Reife der Lernenden wird die Rolle des Product Owners zunehmend auch auf die Lernenden übertragen.
- Studenten: Das Lernteam ist eine Gruppe von 3-6 Lernenden, die gemeinsam an der Erreichung ihrer Lernziele arbeiten. Das Lernteam ist selbstorganisiert und multidisziplinär besetzt. Das Lernteam ernennt einen “Captain”, der sich gemeinsam mit dem Dozent die Rolle des eduScrum-Master teilt. In Anlehnung an ein echtes Scrum sind die Studenten Entwickler und Kunden zugleich.
- Teamcaptain: Der Teamcaptain oder auch eduScrum Master begleitet den Lernprozess und kümmert sich um die Abhaltung der eduScrum Events. Wie der Scrum Master in einem Scrum unterstützt der eduScrum Master Lernende und Dozenten bei der Ausübung ihrer Rolle.
Wie funktioniert ein eduScrum? - Der Ablauf eines eduScrum
Als eduScrum Product Owner führst Du deine Gruppe in den folgenden Schritten durch den eduScrum Prozess. Dabei ist wie oben skizziert die grundlegende Annahme, dass Du eine Abfolge von Lerneinheiten hast, die durch ein eduScrum organisiert werden. Der Ablauf wird durch die eduScrum Events eingerahmt.
- Kickoff: In einem ersten Kickoff stellt der Product Owner, bzw. Dozent das Lernziel, daran geknüpfte “Stories” und den Ablauf eines eduScrum vor.
- Teaming: Im zweiten Schritt werden Lernteams auf Basis von Kompetenzen und Interessen gegründet. Das heißt, Du unterteilt z.B. eine große Lerngruppe von 20 Teilnehmern in Teams mit jeweils 3-5 Schülern.
- FLAP erstellen: Jedes Team erstellt sein eigenes FLAP, hier werden die Aufgaben und der Fortschritt des Teams visualisiert. Zum Aufbau des FLAP als zentralem eduScrum Artefakt weiter unten mehr.
- Planning: Das Team plant seinen Sprint und dokumentiert Aufgaben in seinem FLAP. Das Planning kann über mehrere Unterrichtseinheiten erfolgen, zudem wird das gesamte Lernprojekt durchgeplant. Wie das Planning genau abläuft, erfährst Du weiter unten.
- Umsetzen: Nach dem Planning starten die Schüler mit der Umsetzung und arbeiten ihre Aufgaben ab. Der Dozent als Product Owner steht dabei als Sparringspartner zur Seite. Jede Unterrichtseinheit startet mit einem Standup des Teams.
- Review: Zum Abschluss des gesamten Sprints präsentieren alle Teams teamübergreifend ihre Ergebnisse.
- Retro: Das Lernprojekt endet mit einer gemeinsamen Retrospektive der gesamten Lerngruppe.
Das war einmal der genaue Ablauf eines eduScrum in Gänze, damit Du einmal den gesamten Prozess vor Augen hast. Eventuelle Lücken schließen sich nun hoffentlich in den folgenden Abschnitten und Ausführungen.
eduScrum Artefakte - Das FLAP
Das FLAP (niederlänscih für Flip (Chart)) ist das zentrale eduScrum Artefakt und gleichzeitig auch Heimat für alle anderen eduScrum Artefakte. Denn hier finden sich alle relevanten Informationen visuell übersichtlich in einem Board zusammengestellt. Jedes Team pflegt sein eigenes FLAP.
Stories | Stories sind größere Lernpakete und -aufgaben vergleichbar mit einer Scrum User Story. Stories werden entweder durch den Product Owner oder durch die Lernenden selbst definiert. Die Spalte “Stories” im FLAP entspricht dem Backlog eines Scrum Teams. “As a student I would like to learn / explore / investigate … to achieve ….”. Allerdings sind Stories in einem eduScrum deutlich explorativer als Stories in einem echten Scrum. Das heißt, ihr Umfang kann gar nicht immer genau abgeschätzt werden. Um Research für einzelne Stories zu machen, müssen die Stories erst im laufenden eduScrum Prozess angefangen und geschätzt werden. |
Celebration Criteria | Zu jeder Story gehören “Celebration Criteria” vergleichbar zu “Akzeptanzkriterien” einer User Story. Das heißt, die “Celebration Criteria” beschreiben, unter welchen Voraussetzungen jeder Lernende für sich ein Lernerfolg zu der Story erzielt hat. |
Definition of Doing | Die “Definition of Doing” sind Vereinbarungen des Teams über die Art der Zusammenarbeit (“Working Agreements”). |
Definition of Fun | Die “Definition of Fun” dokumentiert das gemeinsame Verständnis des Teams, unter welchen Voraussetzen das gemeinsame Lernen Spaß macht. Freude (am Lernen) ist in einem eduScrum also ein wichtiger Begleiter erfolgreichen Lernens. |
ToDo, Busy, Done | Die rechte Seite des FLAP ist vergleichbar mit dem Sprint Board. In ToDo findest Du die zu erledigenden Aufgaben, die das Lernteam während dem Planning definiert und geschätzt hat. Diese Aufgaben werden nun visuell für alle sichtbar in einem Kanban über “busy” nach “done” prozessiert. |
Run Up Chart | Was in einem Scrum der Burn Down Chart ist, ist im eduScrum der Run Up Chart. Dazu trägst Du horizontal die Zeit und Unterrichtseinheiten ab, vertikal die Punkte der Aufgaben. Der “happy path” entspricht der Summe aller Aufgaben bei linearem Lernfortschritt (blaue Linie). Nach jedem Sprintje addiert das Team die Punkte der schon erledigten Aufgaben und trägt diese im Run Up Chart ein. Daraus resultiert der erzielte Fortschritt (rote Linie). |
Impediments | Hindernisse und Blockaden, die das Team erlebt und mit denen sich das Team vertrauensvoll an den eduScrum master wendet. |
eduScrum Events
Den groben Ablauf eines eduScrum hast Du bereits weiter oben kennengelernt. Zur Erinnerung: eduScrum organisiert Lernprojekte in unterrichtsähnlichen Lernsituationen. Die eduScrum Events geben der Arbeit des Lernteams eine weitere Struktur.
Planning
Zu Beginn eines Lernprojektes plant das Lernteam gemeinsam die zu erledigen Aufgaben. Diese Aufgaben leiten sich aus den Stories ab und werden im Anschluss durch das Team geschätzt.
Diese durch das Team erstellten Aufgaben werden im FLAP dokumentiert. Für die Durchführung des Plannings gibt es dabei ganz unterschiedliche Ansätze, die von der Größe des Lernprojektes abhängen und frei gestaltet werden können:
- Das Lernteam plant einmalig das gesamte Lernprojekt. Dabei verwendest Du unter Umständen mehrere Unterrichtseinheiten darauf, um aus den Stories Aufgaben abzuleiten und zu schätzen. Das war für mich im Rahmen der eduScrum Ausbildung etwas gewöhnungsbedürftig, dass wir wirklich das gesamte Projekt geplant haben. Mein agiles Gehirn hätte lieber eine Story nach der anderen geplant und direkt umgesetzt.
- Inkrementelles Planning: Ein alternativer Ansatz (und auch im Sinne des eduScrum) könnte sein, dass das Team zunächst eine begrenzte Anzahl von Stories plant, umsetzt und erst im Anschluss weitere Stories plant. Das ist eine freie Design Entscheidung. Das hätte in meinem Verständnis den Vorteil, dass das Lernteam bereits Erfahrungen sammelt und künftige Stories besser abschätzen kann.
Standup
Um sich immer wieder auf den aktuellen Stand zu bringen und eine Unterrichtseinheit einzuleiten, startet jeder “Sprintje” mit einem Standup des Lernteams analog zu einem Daily Standup. Dabei stehen folgende Fragen im Vordergrund:
- Wo stehen wir aktuell, was haben wir erledigt?
- Was sind die nächsten Schritte?
So dient das eduScrum Standup dazu, eine Unterrichtseinheit einzuleiten und sich gedanklich wieder in das Lernprojekt einzufinden.
Review
Am Ende des Sprints und zum Abschluss des Lernprojektes findet eine Review statt. Dabei präsentieren und feiern Teams ihre Lernergebnisse. Zudem kann jedes Team zum Ende einer Lerneinheit eine teaminterne Review machen, um den aktuellen Fortschritt zu reflektieren und seinen Run Up-Chart zu aktualisieren.
Retro
Nach der Review geht die gesamte Klasse in eine gemeinsame, teamübergreifende Retrospektive. Hier teilen Lernteams ihre Erfahrungen und diskutieren mögliche Verbesserung für folgende eduScrums. Als eduScrum Product Owner bekommst Du in der Retro wichtig Informationen für kommende Lernprojekte.
Einsatzmöglichkeiten eduScrum im Unternehmen
Im Kern ist eduScrum eine Methode für Schule und Studium. Jedoch kannst Du eduScrum auch auf die berufliche Weiterbildung und Qualifizierung anwenden. Schließlich lässt dir eduScrum als Methode genügend Gestaltungsspielraum. Dazu ein paar Überlegungen und Ansätze.
- Berufliche Ausbildung: Unternehmen können mit eduScrum die berufliche Ausbildung strukturieren. Abgeleitet aus dem Ausbildungsplan werden Lernprojekte erstellt. Da gibt es mit der Allianz und VW bereits gute Beispiele.
- Weiterbildung: Im Zuge der digitalen Transformation stehen Veränderungen an der Tagesordnung. Unternehmen können Lernprojekte anbieten (z.B. wie arbeiten wir mit KI? wie nutzen wir MS Teams etc.?). Mitarbeiter können freiwillig daran teilnehmen. Dabei ist nur sicherzustellen, dass sie auch ausreichend Zeit haben, sich ihrem Lernprojekt zu widmen.
- Innovationsprojekt: Schlussendlich ist jedes Innovations- auch ein Lernprojekt. Statt also zeitlich begrenzte Design Sprints oder Hackathons abzuhalten, organisiert sich das Team über ein eduScrum. Das Lernziel ist ein erster Prototype und ein Verständnis darüber, wie genau ein solches Vorhaben gelingen kann. Durch eine explizite Formulierung als Lernprojekt schaffst Du mehr Sensibilität und Verständnis dafür, dass es primär eine Lernaufgabe ist, statt einfach nur das “Abarbeiten” einer Idee, die noch nicht verstanden ist. Meine Erwartung ist, dass sich dadurch die Fehlerkultur deutlich verbessert.
Fazit - eduScrum als Lern Booster
In Lernkontexten laufen wir lange genug der Idee der Frontalbespaßung nach. In den meisten dieser Setups sind Lernende Konsumenten, denen es so einfach wie möglich gemacht wird. Der Dozent ist im schlimmsten Fall ein “Vorleser”. EduScrum liefert dazu einen frischen Gegenentwurf. Der Dozent wird zum Sparringspartner, die Lernenden erhalten deutlich mehr Verantwortung für ihre Lernerfolge.
Viel Erfolg dabei.
Andreas Diehl
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