Agiles Arbeiten – Du kannst es nicht erklären, Du musst es erleben
Agiles Arbeiten und agile Teams sind die unternehmerische Antwort auf steigende Komplexität und Dynamik ausgelöst durch die Digitalisierung.
Dabei ist agiles Arbeiten gekennzeichnet durch:
- Freiwilligkeit jedes Einzelnen
- Ein klares Ziel - “Commander’s Intent”
- Arbeit in kurzen Zeitintervallen
- Einbeziehung des Kunden
- Kleine und selbstorganisierte Teams
- Eine hohe Wertorientierung
In diesem Beitrag skizziere ich die Eckpfeiler agiler Arbeit und gehe auf die Frage ein, wie Du agiles Arbeiten und agile Teams in deinem Unternehmen implementierst.
Definition agiles Arbeiten - Was bedeutet agil?
“Agilis” (lat.) bedeutet “beweglich, tätig, rührig” und leitet sich von „agere“ (lat.) ab, was “ausführen, handeln, hervorbringen” bedeutet.
Eine systemtheoretische Grundlage für agiles Arbeiten hat Talcott Parsons bereits in den 50er Jahren erarbeitet. Sein AGIL-Schema (Adaptation, Goal Attainment, Integration, Latency) beschreibt die Fähigkeiten eines selbst erhaltenden sozialen Systems.
Im Kontext eines Unternehmens findet agiles Arbeiten auf verschiedenen Ebenen statt. Das fängt bei agilen Teams an, führt über agiles Management bis zu einer komplett agilen Organisation. Eine agile Organisation ist stark vereinfacht die Summe vieler agiler Teams, die sich an einem gemeinsamen Unternehmensleitbild und in Leitungsteams agil organisieren.
Grundlagen Agilität und agiles Arbeiten
Die sechs wichtigsten Eckpfeiler agilen Arbeitens
Agiles Arbeiten bedeutet nicht “ein wenig flexibler zu sein” oder “Arbeit einfach ein wenig schneller zu erledigen”. Agiles Arbeiten ist eine sehr strukturierte Form der Zusammenarbeit, die an vielen Stellen mit traditionellen Organisations- und Projektstrukturen, Hierarchien oder auch der beruflichen Sozialisierung eines jeden Einzelnen kollidiert. Die erfolgreiche Arbeit eines agilen Teams basiert auf folgenden wesentlichen Säulen.
- Freiwilligkeit jedes Einzelnen
- Ein klares Ziel - “Commander’s Intent”
- Arbeit in kurzen Zeitintervallen
- Einbeziehung des Kunden
- Kleine und selbstorganisierte Teams
- Eine hohe Wertorientierung
Freiwilligkeit - Love it, change it or leave it
Das Prinzip der Freiwilligkeit ist die wichtigste Voraussetzung für erfolgreiche agile Arbeit. Wer freiwillig kommt, hat auch Freude am mitgestalten. Mit der Freiwilligkeit geht der Glaube einher, dass jeder immer sein Bestes gibt und Verantwortung für sein Handeln übernimmt. Teammitglieder, die sich zur Mitarbeit verpflichtet fühlen oder von ihrem Chef abbestellt wurden, sind auf Dauer für ein Team nicht tragbar. Entwedern sie lassen sich irgendwann vom Team “mitreissen” oder identifizieren sich mit den Zielen oder müssen die Gruppe verlassen. Agile Teams können nicht wirken, wenn sie Mitläufer mitschleifen. Wer freiwillig da ist und Verantwortung übernimmt, der kann sich schließlich auch selbst organisieren und muss von niemandem gesteuert werden.
Commander's Intent - Ziele und Leitbilder formulieren
Agiles Arbeiten erfordert Ziele und Leitbilder, mit denen sich alle Mitglieder des Teams identifizieren. Auf Unternehmensebene ist das Unternehmensleitbild oder auch der “Purpose” die gemeinsame Basis für alle Mitarbeiter. Daraus werden Strategien abgeleitet, die einen zusätzlichen Rahmen für einzelne Teams und Projekte bilden.
Ohne Ziele und Leitbilder versinkt agile Arbeit im Chaos. Deswegen ist es wichtig, viel Aufwand in die Formulierung von Leitbildern und Zielen zu investieren. Sie bilden die Leitplanken, die agiles Arbeiten überhaupt erst ermöglichen.
Gute Ziele und Leitbilder ...
- Beantworten die Frage nach dem “warum”
- Beziehen den Kunden ein
- Formulieren einen konkreten Wertbeitrag
- Machen Hypothesen transparent
Im US-Militär wird jede Operation mit einem einfachen “Commander’s Intent” überschrieben. Auf Basis diesen Zielbildes können Teams und Soldaten in Situationen von höchster Dynamik und Unsicherheit jederzeit eine eigene Entscheidung treffen. Mehr zum “Commander`s Intent” in diesem Artikel der Harvard Business Review.
Adaption und Kommunikation - Arbeit in kurzen Zeitintervallen mit Feedbackschleifen
Dieter RösnerKommunikation ist das Schmiermittel der Selbstorganisation.
Agiles Arbeiten ist ein empirischer Prozess. Das heißt, in regelmäßigen Abständen werden Arbeitsergebnisse begutachtet und neue Anforderungen ergänzt bzw. neu priorisiert. Geplant wird immer nur bis zum Ende des kommenden Intervalls. So hast Du die Chance auf Veränderungen oder neue Erkenntnisse reagieren zu können. Dieses Vorgehen erfordert aber auch den Mut Entscheidungen permanent zu hinterfragen.
Feedback als elementarer Bestandteil
Neben der Arbeitsverrichtung in kurzen Zeitintervallen geben sich agile Teams auch regelmäßig Feedback, um ihre Arbeitsweisen und ihre Performance als Team weiter zu verbessern. Anders als in “lessons learned” zum Ende eines Projektes, sind Feedbackschleifen ein impliziter und fester Bestandteil des Prozesses. Das Scrum-Framework definiert diese Intervalle als Sprints, die maximal 1-4 Wochen dauern. Arbeitsergebnisse werden in Reviews besprochen, die Zusammenarbeit in Retrospektiven optimiert. Alle Meeting- und Kommunikationsregeln sind in Scrum genau definiert und vorgegeben.
Kundenzentrierung - der Kunde ist Teil des Geschehens
Jeff BezosNo customer ever asked Amazon to create the Prime membership program, but it sure turns out they wanted it.
Agiles Arbeiten bezieht den Kunden ein. Das bedeutet Probleme und Bedürfnisse der Kunden zu analysierien, zu verstehen und zu antizipieren. Durch Prototypen wird der Kunden bereits in einem sehr frühen Produktlebenszyklus in die Entwicklung einbezogen. Dabei dienen Prototypen oder minimal fähige Produkte als Beschleuniger. Sie geben dem Kunden die Chance, zu reagieren und konkretes Feedback zu geben, statt abstrakte Konzepte zu bewerten. Um Kundenbedürfnisse zu erfassen, einzuordnen und zu verarbeiten, setzen agile Teams auf zahlreiche Methoden in der Kundenzentrierung wie z.B. das Customer Journey Mapping, User Stories oder auch die Jobs-to-be-done Methode.
Kleine Teams handeln autonom und selbstorganisiert
Agiles Arbeiten setzt auf kleine, autonome und selbstorganisierte Teams. Autonom bedeutet, dass das Team alle wichtigen Entscheidungen eigenständig trifft. Die vereinbarte Mission oder die Ziele, Business und User Requirements dienen dabei als Leitplanke. Damit treffen die Menschen eine Entscheidung, die das Problem oder die Aufgabe am besten versteht, statt sie in Entscheidungsvorlagen verpackt von Vorgesetzten oder Lenkungsausschüssen am Schreibtisch treffen zu lassen. Diese Form der Selbstorganisation bedeutet aber auch, dass ein Team Verantwortung für die Erreichung der Ziele übernimmt. Jedes Mitglied hat eine aktive Rolle im Team und beteiligt sich aktiv an der Zielerreichung. Um Komplexität und Overhead zu reduzieren, haben agile Teams eine maximale Größe von 5-8 Leuten, die dauerhaft an der Erreichung der Ziele zusammen arbeiten.
Eine wichtige Voraussetzung für die Autonomie und Selbstorganisation eines Teams ist, dass alle notwendigen Ressourcen und Kompetenzen im Team vorhanden sind, die für die Zielerreichung benötigt werden. Nur auf diesem Weg kann ein agiles Team seine Ziele unabhängig von anderen Teams oder Abteilungen erreichen. Sofern es in Domänen anderer Teams vorstößt oder auf Lösungen setzt, die andere Teams bereits erarbeitet haben, vernetzen und stimmen sich Teams ab, ohne dass daraus Mitbestimmungspflichten oder ein Veto anderer Teams resultieren.
Wertorientierung - Priorisieren, fokussieren und erledigen
Agiles ManifestSimplicity – the art of maximizing the amount of work not done – is essential.
Agiles Arbeiten bedeutet Werte zu schaffen. Das heißt, alle Aufgaben haben einen konkreten und messbaren Wertbeitrag. Die Wertorientierung spiegelt sich in den folgenden Prinzipien wider:
- Erwartungen von Kunden- und Unternehmen werden ausgewogen berücksichtigt.
- Agile Teams unterlassen alle Maßnahmen, die keinen Wert stiften.
- Aufgaben werden strikt priorisiert.
- Agile Teams haben ein gemeinsames Verständnis getaner Arbeit und liefern konkrete Arbeitsergebnisse.
Agiles Arbeiten wird oft auch mit dem Slogan “work smarter, not harder” propagiert. Das erfordert jedoch viel Disziplin in der Formulierung von Aufgaben, der strikten Priorisierung und die Fähigkeit auch mal “Nein” sagen zu können. Priorisierung schafft Fokus, was die Basis ist, um Aufgaben auch in den vereinbarten Zeitintervallen erledigen zu können. Und damit du priorisieren kannst, braucht es wiederum klare Leitbilder und Ziele.
Wie Du agiles Arbeiten in deinem Unternehmen einführst
Agiles Arbeiten kannst Du nicht erklären, Du musst es erleben.
Wer die Grundsätze agilen Arbeitens zu Ende denkt, der kommt schnell zu einer Organisation ohne formale Hierarchien und klassische Abteilungen. Eine Vorstellung mit der sich viele Führungskräfte sicher nicht ad hoc anfreunden wollen. Auf der anderen Seite ist agiles Arbeiten ein MUSS für Projekte mit digitalem Bezug oder Unternehmen in sehr dynamischen Märkten. Wie gelingt es Dir also agiles Arbeiten einzuführen ohne direkt deine gesamte Organisation auf den Kopf zu stellen?
Zunächst braucht ihr ein gemeinsames Verständnis darüber, was agiles Arbeiten im Kontext deines Unternehmens und deiner Aufgabenstellungen bedeutet. Vielleicht hilft Dir dieser Artikel dabei.
Ganz sicher werdet ihr auf Basis eines gemeinsamen Verständnisses die ersten Hürden erkennen, die aus eurer Kultur und Organisation resultieren. Ihr werdet diese auf dem Papier nicht auflösen können, aber sie zu verstehen und “kommen zu sehen” hilft.
Welche Teams oder welche Projekte eignen sich für eine “Erprobung” agilen Arbeitens? Das Projekt sollte in einem kleinen Team mit kurzen Iterationszyklen realisiert werden können und das Projekt sollte nicht “mission critical” sein. Das heißt die nächste SAP Umstellung solltet ihr euch vielleicht nicht gerade als erstes Vorhaben aussuchen. Zudem sollten die handelnden Personen sehr offen für diese Form der Erprobung und Veränderung sein.
Agiles Arbeiten kollidiert ganz sicher mit dem normalen Procedere in deinem Unternehmen. Damit das Team einen Spiegel hat und “on the go” an
Die Einführung agilen Arbeitens folgt selbst einem agilen Prozess. Das heißt fangt an, schaut in regelmäßigen Reviews auf die Ergebnisse und Learnings, wo und wie agiles Arbeiten mit eurer Organisations- und Projektkultur kollidiert. Passt euer Vorgehen an, schützt und unterstützt das agil arbeitende Team mit aller Kraft.
Agiles Arbeiten scheitert nicht an Vorgehensmodellen oder an guten Beispielen, wie es gehen kann. Einer der größten Hürden ist das Mindset jedes einzelnen Mitarbeiters. Selbstorganisation, Entscheidungen treffen ohne Vorgesetzte zu fragen, Verantwortung tragen, priorisieren und mal Nein sagen sind Eigenschaften, die viele Menschen im Laufe ihrer beruflichen Sozialisierung verlernt haben. Nutzt eure Vorzeigeprojekte und legt transparent dar, was agiles Arbeiten bedeutet, was funktioniert und nicht funktioniert. Mit ein paar guten Beispielen und Mitarbeitern, die den Mut haben agile Werte zu leben, fängt es an. Und andere Kollegen haben einen Spiegel, der Ihnen hilft selbst agiles Mindset zu entwickeln.
Fazit - Leadership ebnet den Weg für agiles Arbeiten
Agiles Arbeiten ist vor allem eine Haltungsfrage, die auf Freiwilligkeit und der Bereitschaft basiert, Verantwortung zu übernehmen. Agile Teams arbeiten autonom und selbstorganisiert auf ein Ziel oder eine Vision hin, beziehen den Kunden ein und unterziehen ihre eigenen Fortschritte und Herangehensweisen einer permanenten kritischen Überprüfung.
Agiles Arbeiten muss aber auch möglich und gewollt sein. Damit ist es eine Aufgabe des Top-Managements und ein wichtiger Aspekt digitaler Führung. Die Früchte dieser harten Arbeit sind:
- Fokussierung
- Höhere Kundenzentrierung
- Weniger Overhead
- Zufriedenere Mitarbeiter
- Mehr Innovationskraft
Auf dem Weg braucht es vor allem den Willen zur Veränderung, Durchhaltevermögen und Erfolge, an denen sichtbar wird, welchen Wertbeitrag agiles Arbeiten für alle beteiligten Mitarbeitern und dein Unternehmen stiftet. Viel Erfolg und Geduld auf diesem Weg.
Andreas Diehl
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