30+ agile Praktiken und Techniken für deinen Berufsalltag
Agile Praktiken sind konkrete Techniken und Werkzeuge, die Du schnell und einfach in deinen Arbeitsalltag integrieren kannst. Anders als agile Methoden sind agile Techniken eher “Hacks”, die einfach anzuwenden sind und alleinstehend funktionieren, dafür aber auch nur eine begrenzte Wirkung haben. Du kannst dir eine agile Praktik wie eine einzelne Zutat vorstellen. Entsprechend ist die agile Methode ein ganzes Gericht bzw. Kochrezept.
In diesem Beitrag findest Du eine Übersicht und kurze Erläuterung der wichtigsten agilen Praktiken und Techniken. In weiterführenden Beiträgen kannst Du dich dann detailliert einlesen.
Allgemeine agile Praktiken
Diese allgemeinen agilen Praktiken sind weniger konkrete Techniken als vielmehr allgemeingültige agile Prinzipien:
- Einfachheit: Eine gute agile Praktik ist, Dinge einfach zu halten und jene Dinge wegzulassen, die keinen Wert schaffen. Das ist einfacher gesagt als getan und erfordert viel Arbeit. Wie sagte Blaise Pascal einmal so treffend: “Sorry my friend for such a long letter - I didn't have time to write a short one.”
- Denken in Outcomes: Agiles Arbeiten heißt konsequent darüber nachzudenken, was für den Kunden Wert schafft und wie das Unternehmen gleichzeitig davon profitiert. Eine gute agile Praxis ist also ein konsequentes Denken in Outcomes, statt sich in Outputs oder Aktivitäten zu verlieren.
- Ganzheitlichkeit: Eine gute agile Praktik ist, Sachverhalte ganzheitlich zu erfassen. Das erfordert eine gute Portion Systemdenken. Dem steht die herkömmliche Praxis entgegen, Komplexität zu ignorieren und Aufgaben zu früh in kleine, vermeintlich voneinander unabhängige Teile zu zerlegen. Aber wie sagte Peter Senge einmal treffend: “Dividing an elephant in half does not produce two small elephants.”
- Persönlicher Austausch: Schon im agilen Manifest heißt es, dass das Gespräch von Angesicht zu Angesicht der effektivste Weg ist, Informationen zu übermitteln. Entsprechend ist der persönliche Austausch eine gute agile Praktik, solange der Austausch transparent, offen und zielorientiert erfolgt.
- Kontinuierliches Lernen: Die kontinuierliche “Überprüfung und Anpassung”, das heißt eine regelmäßige Überprüfung der erzielten Arbeitsergebnisse, die Reflektion über die Qualität der Zusammenarbeit und daraus resultierende Anpassungen sind ein Grundpfeiler agiler Arbeitsweisen. Diese agile Praktik ist angelehnt an das Lean Prinzip des Kaizen, dem Streben nach Perfektion.
- Crossfunktionalität: Statt in “Abteilungen” zu denken, organisierst Du Arbeit dezentral in einem Netzwerk von crossfunktionalen Teams.
- Kontinuität: Agiles Arbeiten heißt, agile Praktiken und Werkzeuge auch konsequent und diszipliniert einzusetzen. Statt also nach ersten Misserfolgen die agile Praktik zu verteufeln, darfst Du konsequent in eine Überprüfung und Anpassung einsteigen, um mehr aus der agilen Praktik herauszuholen.
- Fokus: Fokussiere dich auf wenige wichtige Aufgaben, statt von Task zu Task zu springen oder Multitasking zu betreiben. Der Wechsel von einer Aufgabe zur anderen (“Task Switching”) ist mit Kosten verbunden. Deswegen ist es eine wichtige allgemeine agile Praktik, den Fokus zu halten.
- Visualisierung: Visualisierungen helfen, Abläufe und Zusammenhänge zu verstehen. Dabei geht es nicht um grafische Kunstwerke. Ein paar Post-its und ein Whiteboard helfen, komplexe Sachverhalte darzustellen.
Agile Praktiken Meetings
Meetings per se sind eine gute agile Praktik, solange Meetings einen klaren Zweck und Timeboxen haben. In agilen Rahmenwerken dienen Meetings vor allem auch der Synchronisation von Teams und dem Management von Abhängigkeiten. Die folgenden agilen Praktiken helfen dir, noch mehr aus deinen Meetings herauszuholen.
- Daily Stand Up: Ein tägliches Meeting, um das Team zu synchronisieren und sicherzustellen, dass alle auf dem richtigen Weg sind.
- Timeboxing: Ein konsequentes Zeitmanagement mit kurzen, fest definierten Zeitslots in Meetings und Workshops.
- Retrospektiven: Ein regelmäßiges Meeting, bei dem Teams über ihre Arbeit und ihre Prozesse reflektieren und Wege zur Verbesserung identifizieren.
- Moderation: Agile Rahmenwerke setzen konsequent auf agile Coaches und Personen, die den Arbeitsprozess moderieren und Teams befähigen. Entsprechend ist es eine gute agile Praktik, Meetings von einem Moderator begleiten zu lassen. Erst recht, wenn es um anspruchsvolle Themen z.B. in einem Strategiemeeting geht.
Agile Techniken Kunden verstehen
Hoher Kundenfokus ist ein wichtiges agiles Prinzip, deswegen werden Kunden auch aktiv in den agilen Prozess eingebunden. Hier einige agile Praktiken, die dir helfen, Kunden und ihre Anforderungen besser zu verstehen und zu erfassen.
- User Stories: Eine agile Technik zur Erfassung von Produktanforderungen aus der Perspektive des Endbenutzers.
- Story Mapping: Eine Technik zur Visualisierung von User Stories und zur Priorisierung von Arbeit.
- Backlog: Eine priorisierte Liste mit umzusetzenden Anforderungen. Diese agile Praktik stammt aus dem Scrum Framework.
- Prototyping: Einfache Prototypen sind eine extrem wichtige agile Praktik. Weil sie dich in die Lage versetzen, unmittelbares Feedback vom Kunden zu bekommen.
- MVP: Ein Minimum Viable Product (minimal überlebensfähiges Produkt) ist ein funktionstüchtiger Prototyp, mit dem Du quantitatives Feedback, also echte Daten sammeln kannst.
- Customer Journey: Die Darstellung einer Kundenreise, d.h. Du zeichnest Schritt für Schritt den Weg des Kunden nach.
- Personas: Vielleicht nicht direkt eine agile Praktik, aber definitiv eine Übung, die dir mehr Verständnis über den Kunden bringt. Denn eine Persona ist eine generalisierte, prototypische Person einer gesamten Usergruppe.
- Jobs Theory: Die Jobs-to-be-done (JTBD) Theory ist eine outcome-orientierte Methode und wichtiges Werkzeug der Kundenzentrierung.
Arbeit im Team organisieren
Die folgenden agilen Praktiken helfen dir, die Zusammenarbeit in deinem Team nach agilen Prinzipien zu organisieren.
- Agile Rollen: Das konsequente Denken in agilen Rollen ist eine sehr wichtige agile Technik. Dabei kannst Du auf etablierte Rollen wie den Product Owner, OKR Champions, den Scrum Master oder agile Coaches setzen oder in deinem Team eigene agile Rollen entwickeln.
- Kanban Boards: Kanban Boards sind ein Artefakt der Kanban-Methode. Dabei managst Du den Arbeitsfluss in der einfachsten Form in drei Schritten: Offen, in Arbeit und erledigt. So kannst Du auch jederzeit visuell kontrollieren, was noch zu tun und bereits erledigt ist.
Agile Praktiken Priorisierung
- MoSCoW-Methode: Die MoSCoW-Methode ist eine Priorisierungstechnik für Anforderungen und Aufgaben, bei der diese in vier Kategorien eingeteilt werden: Must-have (M), Should-have (S), Could-have (C) und Won't-have (W).
- WIP Limits: WIP steht für “Work in Progress”, sprich alle aktuell in Umsetzung befindlichen Arbeiten. Durch die WIP Limitierung vermeidest Du Überlastung, Task Switching, verringerst Wartezeiten und machst Engpässe sichtbar.
- WSJF Methode: Weighted Shortest Job First ist eine Methode zur Priorisierung aus dem Scaled Agile Framework (SAFe). Mit der WSJF Methode berechnest Du die Jobs, die die schnellste Wertgenerierung in Aussicht stellen. Ein “Job” meint dabei ein Feature, Epic, eine Capability oder ein Projekt.
Agile Techniken Entscheidungsfindung
- Konsent: Bei der Konsent Methode geht es darum, eine Entscheidung zu finden, gegen die niemand ernsthafte Einwände hat. Es wird nicht unbedingt nach der besten oder beliebtesten Lösung gesucht, sondern nach einer, die für alle akzeptabel ist.
- Systemisches Konsensieren: Systemisches Konsensieren ist eine Methode, um bei Entscheidungsprozessen in Gruppen einen Konsens zwischen allen Beteiligten zu schaffen.
- Delegation Poker: Delegation Poker ist ein Kartenspiel, mit dem Du Verantwortlichkeiten und Entscheidungsbefugnisse klärst.
Praktiken für agile Softwareentwicklung
- Continuous Integration (CI): Eine agile Praxis, bei der Entwickler ihre Änderungen häufig in den Master Branch integrieren, oft mehrmals täglich.
- Continuous Deployment (CD): Eine Erweiterung von CI, bei der Code Änderungen automatisch in die Produktionsumgebung übertragen werden.
- Spike: Eine agile Technik, bei der ein kleines Experiment durchgeführt wird, um eine Lösung für ein Problem oder eine technische Herausforderung zu finden.
- Mob Programming: Eine agile Technik, bei der das ganze Team an einem Computer arbeitet, ähnlich wie bei der Paarprogrammierung bekannt aus dem Extreme Programming, aber mit mehr als zwei Personen
- Agile Modelling (AM): Ein Praxis-Set zum effektiven Modellieren und Dokumentieren von Software-basierten Systemen.
- Internal Open Source Model: Softwarecode ist ein Gemeingut der ganzen Organisation, nicht Hoheits-Domäne einzelner Teams. Diese agile Praktik ist ein tragender Eckpfeiler der Spotify Engineering Culture.
- Feature Toggles: Mit einem Feature Toggle können Funktionen zentral im Softwarecode ein- und ausgeschaltet werden. Diese agile Praktik erlaubt es, auch unfertigen Code zu committen und Integrationsprobleme frühzeitig zu erkennen. Zudem kannst Du neue Features sukzessive launchen und mit ausgewählten Usern testen.
- Avoid Big Projects: Nochmal eine gute agile Praktik aus dem Spotify Modell ist der Hinweis auf große Projekte mit vielen Abhängigkeiten zu verzichten. Große Projekte solltest Du nur verfolgen, wenn es gar nicht anders geht.
- Team Topologies: Teamtopologien beschreiben die Anordnung von Teams und ihre Beziehung untereinander und sind ein wichtiges Werkzeug für die Organisation von IT- und Software-Teams für einen optimalen Arbeitsfluss.
Fünf alltägliche agile Praktiken
Zum Abschluss noch die bis hierhin vorgestellten agilen Praktiken, die Du täglich in deinen Berufsalltag integrieren kannst.
- Daily Standup: Starte jeden Tag mit deinem Team in einem Daily Standup. Probiert diese agile Praktik im Team doch einmal für 4-6 Wochen aus. Das Ziel und die Erwartungshaltung ist, dass dadurch alle besser informiert sind und der Bedarf an täglichen “Zwischendurch”-Abstimmungen per Chat und E-Mail auf ein Minimum reduziert wird.
- Priorisierung: Im Idealfall weißt Du das schon vor dem Daily Standup, um es mit Kollegen zu teilen. Spätestens nach dem Daily solltest Du die wichtigsten drei Aufgaben für den heutigen Tag definieren und priorisieren.
- Timeboxing: Versehe tägliche Aufgaben mit einer klaren Timebox, räume dir dabei auch bewusst Blöcke für konzentrierte Arbeit und “Deep Thinking” ein. Ein solcher Arbeitsblock für die konzentrierte Erledigung einer Aufgabe sollte mindestens zwei Stunden betragen.
- Backlog: Pflege eine Liste mit den Aufgaben, die Du zu erledigen hast, priorisiere diese Liste und halte die Aufgaben auf aktuellem Stand. Im Idealfall pflegt ihr als Team ein Backlog an wichtigen Aufgaben.
- “Done Work”: Welche Aufgaben kannst Du garantiert bis zum Abend abschließen? Aufgaben erledigt zu haben, räumt das Backlog auf und sorgt für Zufriedenheit. Zur Feier des Tages, schaust Du auf deine abgeschlossenen Aufgaben und erfreust dich an der erledigten Arbeiten des zurückliegenden Tages.
Fazit - Agile Praktiken sind Helfer, kein Feenstaub
Richtig und kontinuierlich angewendet, kannst Du mit einzelnen agilen Praktiken bereits gute Ergebnisse erzielen. Wichtige Erfolgsfaktoren dabei sind Kontinuität, eine kontinuierliche Reflektion der Wirksamkeit und die Anwendung von “ShuHaRi”. Das heißt, Du setzt agile Praktiken so ein, wie sie vorgegeben sind, statt eigene Regeln zu definieren. Gleichzeitig darfst Du auch die Grenzen von agilen Praktiken anerkennen. Denn agile Techniken sind definitiv nicht geeignet, grundlegende strukturelle oder kulturelle Probleme einer Organisation zu lösen. Der Einsatz von agilen Techniken macht diese Probleme höchstens transparent. Aber dann hast Du in einem Design Thinking Verständnis wenigstens einen Startpunkt, um gute Lösungen zu finden.
Viel Erfolg dabei.
Andreas Diehl
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