Einführung Holacracy – Ein umfängliches agiles Betriebssystem
Eine Holakratie (Holokratie, eng. Holacracy) ist ein auf Selbstmanagement und verteilter Autorität basierendes Organisationsmodell. Das Besondere und Spannende am Holacracy Modell: Es ist ein umfängliches organisatorisches Betriebssystem für Unternehmen jeder Branche und Größe.
In diesem Post erkläre und zeige ich dir, wie eine Holakratie für Unternehmen funktioniert und auf welche Konzepte das Holacracy Modell setzt, damit Autonomie und Selbstorganisation nicht im Chaos enden.
TLTR - Holacracy in a nutshell
- Managementsystem - Holacracy ist ein voll umfängliches Betriebs- und Managementsystem für Unternehmen jeder Branche und Größe
- Holacracy Verfassung - Die Holokratie setzt auf ein sehr umfangreiches und transparentes Regelwerk, das in der Holacracy Verfassung dokumentiert ist.
- Organisation in Rollen und Circles - Das Holacracy Modell organisiert ein Unternehmen in Rollen (Einzelpersonen) und Circles (Teams). Dabei gibt es fest definierte Rollen, die z.B. die Führung betreffen.
- Governance und Operative Prozesse - Fest definierte Governance und operative Prozesse sowie eine integrative Entscheidungsfindung sind die Basis für reibungslose operative Abläufe und eine permanente Weiterentwicklung der Organisation.
- “Ganz oder gar nicht” - Die tragenden Konzepte der Holokratie sind eng miteinander verzahnt, deswegen gibt es eine Holokratie auch nur “ganz oder gar nicht”. D.h. auch wenn Du dich schrittweise in unterschiedlichen Unternehmensbereichen holokratisch organisierst, geht das immer nur “ganz oder gar nicht”.
Woher kommt die Holokratie?
Das Holacracy Modell wurde vom amerikanischen Unternehmer Brian Robertson entwickelt. Ausschlaggebend waren vor allem seine Erfahrungen als Angestellter und Unternehmer. In der Hierarchie fühlte sich Robertson nicht gehört und wahrgenommen. Als Unternehmer ertappte er sich schnell dabei, genau die Strukturen aufzubauen, die ihn selbst so frustriert haben. In seinem Buch “Holacracy” erklärt er seine Vorstellung einer Holokratie mit einer schönen Metapher. Demnach ist für Robertson jeder Mitarbeiter einer Organisation wie eine Kontrollleuchte in einem Cockpit. Wenn sie angeht, dann stimmt etwas nicht. Entsprechend sollte jeder Mitarbeiter Eindrücke einbringen und eine Organisation Routinen entwickeln, um effektiv mit diesen Erfahrungen umzugehen. So hat er mit der Holokratie seit 2007 schließlich ein Managementsystem entwickelt, das diese Form der partizipativen Führung zum Leben erweckt. Dabei hat die Holokratie Gemeinsamkeiten mit der Soziokratie, jedoch auch wesentliche Unterschiede.
Holacracy Definition: Holokratie = “holon” + “kratie”
Die Bedeutung der Holokratie basiert auf den griechischen Begriffen “Holon” und “Kratie”. Der Wortteil “kratie” bedeutet Herrschaft oder Macht und ist dir bestens aus der Büro- oder einer Demokratie vertraut. Der Begriff Holon bedeutet “Teil eines Ganzen”. So ist z.B. eine Körperzelle ein “Ganzes” und gleichzeitig Teil eines Organs. Das Organ ist wiederum ebenfalls ein “Ganzes” und gleichzeitig Teil des Körpers. So kannst Du dir eine Holokratie auch als eine ineinander verwobene Zellstruktur vorstellen. Deswegen wird die Holokratie oft auch als “Zellstruktur-Organisation” bezeichnet.
Hierarchie vs Holokratie
Die Holokratie ist ein Gegenentwurf zu einer klassischen formalen Hierarchie. So genießen Teams und einzelne Rollen auf jeder Ebene der Holokratie 100 prozentige Autonomie im Rahmen ihrer Verantwortungsbereiche. Das heißt mal etwas salopp formuliert: Selbst der CEO eines Unternehmens kann keinem Mitarbeiter sagen, was er zu tun oder zu lassen hat. Und trotzdem ist die Holokratie nicht vogelwild, sondern folgt einer impliziten Rangordnung. Dieser vermeintliche Widerspruch löst sich auf, wenn Du die Konzepte des Holacracy Modells kennengelernt hast.
Das Holacracy Modell - Die wichtigsten Konzepte einer Holokratie
Damit Selbstmanagement und verteilte Autorität nicht in Chaos ausarten, setzt die Holokratie auf ein umfangreiches Regelwerk mit den folgenden elementaren Konzepten. Die Mitarbeiter in einer Holokratie werden übrigens Partner genannt.
- Rollen und Circles geben der Holokratie einen strukturellen Rahmen. Rollen werden von Partnern ausgefüllt, jeder Partner kann mehrere Rollen haben. Circles kannst Du analog zu Teams sehen, diese werden immer dann gegründet, wenn die Verantwortungen den Rahmen einer einzelnen Rolle sprengt. Rollen und Circles sind dynamisch und werden auf Basis von Feedback ständig weiterentwickelt oder neu formiert.
- Operative und Governance Prozesse regeln verbindlich die Abläufe einer holokratischen Organisation, z.B. welche Meetings abgehalten und welche Entscheidungen getroffen werden.
- Die Holacracy Verfassung dokumentiert die Regeln der Holokratie verbindlich und für alle transparent.
Rollen statt Stellenbeschreibungen
Ein zentrales Merkmal der Holokratie ist das sehr konsequente Denken und Handeln in Rollen. So hängen Zuständigkeiten und Aufgaben nicht an einzelnen Personen, sondern an Rollen. Partner nehmen diese Rolle an und füllen sie aus, dabei kann jeder Partner mehrere Rollen innerhalb der Organisation haben. Jede Rolle eine pointierte Bezeichnung und wird durch folgende Attribute mit Leben gefüllt.
- Purpose: Der Purpose bringt zum Ausdruck, warum und wofür die Rolle überhaupt existiert.
- Domains: Eine oder mehrere Aufgabengebiete und Dinge („Territorien“), die die Rolle exklusiv für die Organisation kontrolliert und regelt. Innerhalb dieser definierten Domain hat der Mitarbeiter bzw. Partner völlige Handlungsfreiheit.
- Accountabilities: Ein oder mehrere fortlaufende Aktivitäten, für die die Rolle verantwortlich ist und die auch andere Partner von ihr erwarten können.
Rollen sind dynamisch, werden auf Basis von Feedback ständig weiterentwickelt oder es werden aufgrund gewonnener Erkenntnisse neue Rollen definiert. Wie Rollen genau weiterentwickelt werden, ist Teil der Governance Prozesse.
Kreise (“Circles”) statt Abteilungen
Wenn ein Verantwortungsbereich zu groß für eine einzelne Rolle ist, dann werden diese Aufgaben in einen “Circle” übertragen. Alle Rolleninhaber bzw. Partner, die in diesen Verantwortungsbereich fallen, sind damit auch Teil des Circles. Das verdeutlicht schließlich auch den Begriff und die Metapher einer verwobenen Zellstruktur noch einmal sehr schön. Eine einzelne Rolle ist ein Ganzes und gleichzeitig Teil eines Circles, der ebenfalls wiederum ein Ganzes und gleichzeitig ein Teil der gesamten Organisation ist. Wie auch jede Rolle hat jeder Circle einen Purpose, kontrollierte Domains und eine Reihe von Accountabilities.
Zusammenspiel Rolle und Circles
Das Zusammenspiel Rolle und Circle kannst Du an folgendem vereinfachten Beispiel nachvollziehen:
Rolle | Circle | |
---|---|---|
Name | Social Ambassador | Digitales Marketing |
Purpose | Social Media zu bedeutsamen Kommunikationskanälen für unsere Organisation entwickeln | Sicherstellen, dass unsere Produkte von unserer Zielgruppe digital entdeckt und wahrgenommen werden. |
Domains | LinkedIn und Instagram Accounts unserer Organisation | Alle digitalen Kommunikationskanäle. |
Accountabilities | Verfassen und Veröffentlichung neuer InhalteErfolgsmessung, Erstellen von Reportings | Formulierung und Implementierung einer geeigneten digitalen Marketingstrategie Betrieb unserer Webseite, unseres E-Commerce Store und aller digitalen Kanäle |
Allein schon das Aufschreiben dieser drei Punkte zu jeder Rolle und zu jedem Circle hat es in sich. Denn auf einmal gibt es nicht einfach nur ein “Marketing”. Sondern das holokratische Denken fordert dich auf, den Sinn, damit verbundene Verantwortlichkeiten und Erwartungen explizit und konkret zu definieren. Denn wie sagte schon Bertrand Russell: “Everything is vague to a degree you do not realize till you have tried to make it precise.”
Bertrand RussellEverything is vague to a degree you do not realize till you have tried to make it precise.
Verbindungen mit anderen Circles - Lead, rep und Cross Links
Für die Verbindung eines Circles mit anderen Kreisen und Teilen der Organisation hat das Holacracy Modell ein sehr elegantes Konzept entwickelt. Zunächst einmal wird jeder Circle von einem “Lead Link” geführt. Der Lead Link wird von einem darüber liegenden Circle bestimmt und ist z.B. für Prioritäten, Budgets oder auch die Besetzung von Rollen innerhalb des Circles verantwortlich. Der Rep Link wird anders als der Lead Link nicht bestimmt, sondern von Mitgliedern des Circles gewählt. Gemeinsam repräsentieren die beiden Links ihren Circle in einem darüber liegenden Kreis. Damit schafft die Holokratie eine doppelte Verbindung in andere Kreise. So zirkulieren Informationen besser und Du vermeidest, dass einzelne Protagonisten zum Bottleneck in deiner Organisation werden. Darüber hinaus können Kreise sich auch auf horizontaler Ebene über Cross Links miteinander vernetzen. Damit kannst Du Abhängigkeit besser erkennen und managen, Du stärkst sozusagen dein zweites Flight Level.
Hierarchie in der Holokratie
An der Beschreibung erkennst Du, dass auch das Holacracy Modell nicht frei von Hierarchie ist. Auch eine holokratische Organisation hat einen klaren strukturellen Aufbau im Sinne von “oben nach unten”. Der elementare Unterschied gegenüber einem formalen Hierarchie ist jedoch, dass Rollen und Circles Autonomie innerhalb der ihnen zugewiesenen Domains genießen. Das heißt, Du missbrauchst Hierarchie nicht in dem Sinn, dass z.B. der Geschäftsführer jedem sagen kann, was er/sie zu tun hat. Über Lead, Rep und Cross Links sind Circles zudem gut miteinander vernetzt.
Prototypischer Aufbau einer Holokratie
Mit den Konzepten von Rollen und Circles kannst Du nun einen einfachen Prototyp einer Holokratie bauen. Stell dir vor, Du hast ein produzierendes Unternehmen mit 50 Mitarbeitern und drei Abteilungen Produktion, Marketing und Vertrieb, deren Abteilungsleiter wiederum Teil der Geschäftsleitung sind. Das heißt, dein Unternehmen ist wie folgt aufgebaut:
- Ein Geschäftsführer,
- Drei Abteilungen (Produktion, Marketing, Vertrieb) mit jeweils einem Abteilungsleiter,
- Geschäftsleitung mit 4 Personen, dem Geschäftsführer und den drei Abteilungsleitern.
In einer holokratischen Organisation würde nun folgendes passieren:
- Abteilungen werden in Kreise überführt. Im Unterschied zur traditionellen Organisation sind die Domains und Verantwortlichkeiten der Kreise und der dazugehörigen Rollen verbindlich und transparent definiert und dokumentiert.
- Der Geschäftsführer ernennt Lead Links zu jedem Circle.
- Die Mitarbeiter bzw. Partner in den Kreisen wählen einen Rep Link, der gemeinsam mit dem Lead Link die Interessen des Circles im Kreise der Geschäftsführung vertritt.
- Zudem entscheiden die Circles, dass jeweils eine stabile Verbindung zwischen Marketing und Vertrieb, bzw. Marketing und Produktion benötigt wird. Es gibt also jeweils einen zusätzlichen Cross Link.
Bis hierhin hast Du mit Circles und Rollen nun den strukturellen Aufbau einer Holokratie kennengelernt. Es wäre aber fatal und deutlich zu kurz gesprungen, die Holokratie nur auf diese strukturgebenden Elemente zu reduzieren. So regeln Governance und Operative Prozesse wie Interaktionen genau stattfinden und welche Rechte und Pflichten jeder Einzelne innerhalb seiner Rollen hat.
Governance Prozesse
Mit den Governance Prozessen definiert das Holacracy Modell ein klares Regelwerk, um die Organisation und den strukturellen Aufbau der Holokratie permanent weiter zu entwickeln. Denn wie bereits erwähnt, sind Rollen und Circles dynamisch, werden also basierend auf Erfahrungen und empirischen Erkenntnissen angepasst. Entscheidungen über die Anpassung der Struktur obliegen jedoch nicht einzelnen Personen, sondern folgen einem klar definierten Ablauf. So werden durch die Holacracy Governance Prozesse z.B. folgende Punkte geregelt, siehe dazu auch Artikel 3 der Holacracy Verfassung.
- Gründung, Abschaffung und Änderung von Rollen innerhalb des Kreises
- Abhalten von Wahlen für gewählte Rollen, wie z.B. den Rep Link
- Gründung, Abschaffung und Änderung von Sub-Circles, d.h. untergeordneten Kreisen. Wenn also im oben genannten Beispiel ein einzelner Social Media Ambassador nicht mehr ausreicht, kann der Marketing Circle durch seine Governance Prozesse einen Sub-Circle “Social Media Marketing” gründen
- Definition und Änderung der Governance Regeln, die den Kreis betreffen
Niemand, auch nicht der Lead Link eines Circles, kann Rollen oder Regeln des Kreises außerhalb des definierten Governance-Prozesses ändern. Es sei denn, diese Ausnahme ist ausdrücklich von einer anderen Regel in der Holacracy Verfassung genehmigt.
Governance Meetings
Entscheidungen über die Entwicklung von Rollen und Circles werden in Governance Meetings getroffen. Diese Meetings folgen einem klaren Ablauf und werden regelmäßig abgehalten. Die Governance Meetings werden von einem “Facilitator” moderiert, der “Secretary” lädt ein und dokumentiert die Ergebnisse. Der “Facilitator” und der “Secretary” sind übrigens weitere fest definierte und zu wählende Rollen in der Holokratie. Den genauen Ablauf eines Governance Meetings kannst Du auf der Holacracy Webseite detailliert nachlesen.
Operative Prozesse
Operative Prozesse im Holacracy Modell adressieren das WAS, also die Arbeit selbst. Dazu definiert die Holokratie eine Reihe von verbindlichen Regeln, die Du ausführlich im vierten Artikel der Holacracy Verfassung nachlesen kannst. Dabei ist insbesondere geregelt, wie Du dich als Inhaber einer Rolle zu verhalten hast. Diese Regeln haben es wirklich in sich und ich kann mir gut vorstellen, dass nun der ein oder andere sich denkt: "Wenn ich das nur auch hätte”.
- Pflicht zur Transparenz, d.h. Du bist jederzeit verpflichtet anderen Mitgliedern deines Kreises Auskunft zu geben über deine Projekte, nächste konkrete Schritte, deine Prioritäten, Vorhersagen, wann Du deine Arbeit erledigt hast. Zudem bist Du auskunftspflichtig über die Entwicklung von Metriken und Performance Indikatoren, die in den Verantwortungsbereich deiner Rolle fallen.
- Pflicht zur Bearbeitung, d.h. Du hast die Pflicht, Nachrichten und Anforderungen von anderen Mitgliedern deines Kreises unverzüglich zu bearbeiten.
- Pflicht zur Priorisierung, d.h. Du hast die Aufgabe zu priorisieren, wohin genau Du deine Aufmerksamkeit und Ressourcen lenst. Artikel 4.1.3 der Holacracy Verfassung definiert dazu ein klares Regelwerk. Z.B. hast Du Nachrichten von anderen Mitgliedern deines Kreises mit höchster Priorität zu beantworten.
Tactical Meetings
Wie auch für die Governance Prozesse sieht das Holacracy Modell einen genauen Ablauf für die operativen Meetings vor. Tactical Meetings werden in der Regel wöchentlich abgehalten und werden vom Facilitator des Kreises moderiert. Dabei verfolgen Tactical Meetings das Ziel, dass sich Kreismitglieder über ihre operative Arbeit gegenseitig informieren und synchronisieren. Darüber hinaus können auch Blocker eingebracht werden, die dich am Fortschritt deiner Arbeit hindern. Die Holokratie nennt diese Form der Störung eine “Spannung”. Im Tactical Meeting werden dann konkrete Schritte und Projekte definiert, um deine Spannung zu lösen. Wenn dafür eine Rolle anpasst werden muss, wird das jedoch im nächsten Governance Meeting passieren. Wie ein Tactical Meetings moderiert wird, kannst Du auf der Holacracy Webseite nachlesen.
Holacracy Verfassung
Die Holacracy Verfassung ist das Herzstück jeder holokratischen Organisation. Darin werden Regeln und Prozesse zur Führung und Verwaltung der holokratischen Organisation für alle verbindlich und transparent definiert. Dabei kannst Du dir die Holacracy Verfassung als Spiel- und Regelwerk vorstellen, analog zum Grundgesetz, der Straßenverkehrsordnung oder dem Regelwerk einer Sportart. So werden in der Holacracy Verfassung die tragenden Säulen der Holokratie verbindlich definiert:
- Das Einrichten von Rollen (Artikel 1)
- Organisation in Kreisen (Artikel 2)
- Governance Prozesse und Meetings (Artikel 3)
- Operative Regeln und Prozesse (Artikel 4)
- Konstituierende Merkmale (Artikel 5)
Dabei ist die Holacracy Verfassung keine Anleitung oder ein Betriebshandbuch, schließlich lernst Du das Autofahren ja auch nicht durch Studium der Straßenverkehrsordnung. Vielmehr nutzt Du die Verfassung als Referenz in kritischen Situationen und schaffst damit eine allgemeingültige Referenz. Die deutsche Version der Holacracy Verfassung kannst Du hier einsehen, das englische Original findest Du auf der Holacracy Webseite.
Inkrafttreten der Holacracy
Der fünfte Artikel der Holacracy Verfassung regelt das Inkrafttreten und den formalen Übergang der bisher gelebten Verantwortung in die holokratische Organisation. Dieser Artikel ist deswegen erwähnenswert, weil dadurch klar wird, welches Ausmaß eine Holokratie hat. Durch diesen Übergang werden z.B. folgende Punkte geregelt:
- Einrichten eines Boards bzw. eines Kreises, dem alle Unterzeichner der Verfassung angehören. Das sind typischerweise Gesellschafter oder auch die Organe einer Gesellschaft. Das Board hat die Aufgabe, den Purpose der gesamten Organisation zu formulieren.
- Alte Policies wie z.B. Vergütungssysteme, Anstellungs- und Entlassungsprozesse behalten solange ihre Gültigkeit bis sie durch neue Regeln in der Verfassung ersetzt werden.
- Die Verfassung kann jederzeit durch ihre Unterzeichner auch außer Kraft gesetzt oder geändert werden.
So ist auch bei der Einführung einer Holokratie einer der ersten Schritte, dass der CEO und die Geschäftsführung die Verfassung unterschreiben und damit ihre Entscheidungsbefugnis in die Hände des Systems bzw. der Holokratie legen.
Meine kritische Betrachtung und Key Take Aways aus der Holokratie
Das Holacracy Modell liefert ein sehr umfangreiches Regelwerk. Das mutet vielleicht auf den ersten Blick etwas bürokratisch an. Deswegen im Folgenden ein paar Punkte, die mir bei der Auseinandersetzung mit der Holokratie positiv und negativ aufgefallen sind:
Bürokratie vs Agilität
Die Holakratie wirkt auf den ersten Blick eher bürokratisch als agil und selbstorganisiert. Allerdings bedeuten Regeln ja auch Freiheit. Stell dir nur mal vor, es gäbe keine Straßenverkehrsordnung. Wie gesund und entspannt wäre dann noch eine Autofahrt. Das holokratische Regelwerk wird damit zu einer Voraussetzung, damit Selbstorganisation überhaupt gelingen kann. Generell braucht Selbstorganisation immer mehr Regelwerk als eine herkömmliche “ich sag dir was zu tun ist” Organisation. Weil Du dir im Rahmen der Selbstorganisation eben ein Vielfaches mehr Gedanken darüber machen darfst, wie Du genau einen sinnvollen Rahmen setzt, damit Selbstorganisation eben auch konzertiert abläuft.
Angenehm unpersönlich
Am Anfang fand ich die Holokratie im Hinblick auf die Differenzierung von Personen und Rollen etwas befremdlich fast schon "asozial". Allerdings sorgt die Holokratie damit gerade dafür, dass “soziale Währung” keine Rolle mehr spielt. Denn einerseits werden persönliche Seilschaften und Kameradschaft als "Schmiermittel" irrelevant. Umgekehrt ist Feedback deutlich einfacher, weil es nicht persönlich ist, sondern immer nur eine Rolle adressiert. Wenn dein Kollege ein anderes Verständnis deiner Rollen hat, dann hat er kein Problem mit dir, sondern eine andere Erwartung an deine Rolle. Was nicht heißen muss, dass es in einer Holokratie unpersönlich zugeht. Gute Vibes, Zuneigung und persönliche Wertschätzung gibt es oben drauf, die sind aber völlig entkoppelt von einem professionellen Umgang miteinander.
Führung in der Holokratie
Das Holacracy Modell setzt auf ein sehr differenzierte Führung. Im Kern setzt die Holacracy auf ein hohes Maß an Selbstführung im Rahmen der definierten Rolle. Der Rep Link eines Circles übernimmt die fachliche Führung, indem er z.B. Prioritäten definiert. Diese Prioritäten sind natürlich immer relativ zu der Verantwortung des Circles zu sehen. Eine explizite People Führung wie z.B. in einer Helix oder vergleichbar zu einem Chapter Lead im Spotify Modell gibt es “out of the box” nicht in der Holokratie. In unserem Beispiel wirst Du jedoch sehen bzw. hören, dass eine solche Erweiterung durchaus auch in eine Holokratie implementiert werden kann.
Holokratie ist erweiterbar
Die Holokratie hat nicht den Anspruch, komplett zu sein. Vielmehr kannst Du dir die Holokratie wirklich wie ein Betriebssystem vorstellen, das Du um Apps erweitern kannst. Zum Beispiel wie Zahlungen geregelt werden, ob und wie es eine People Führungslinie gibt, wie Strategieprozesse und Meetings ablaufen oder ob sich eine Organisation vielleicht darauf verständigt, mit OKR zu arbeiten. Diese Erweiterungen werden dann ebenfalls nach Bedarf in der Verfassung geregelt und damit verbindlich dokumentiert.
Sprache macht Kultur
Ich bin ein großer Anhänger der deutschen Sprache und nehme es gerne sehr genau. Auch wenn Begriffe der Holakratie teilweise etwas hölzern klingen, gibt es für mich ein absolutes sprachliches Highlight. Nämlich, dass Störgefühle jeder Art einfach als “Spannung” deklariert werden, die dann durch Governance, Tactical Meetings oder durch integrative Entscheidungsfindung prozessiert werden. Eine Störung, das Blinken deiner Kontrollleuchten oder gar das Läuten deiner Alarmglocken ist einfach eine Verspannung, die durch transparente Prozesse und gute Facilitation ausmassiert werden. Kein Drama, einfach eine Wahrnehmung von Unterschieden, mit der Du völlig entspannt und transparent umgehst und die durch integrative Entscheidungsfindung zu einer Entwicklung der Organisation beiträgt.
Disziplin, Transparenz und klare Regeln
Das Holacracy Modell fordert von Mitarbeitern eine hohe Prozessdisziplin ab. Das betrifft sowohl die Meetingkultur als auch, wie Entscheidungen getroffen werden. Es wird halt nicht mehr “irgendwie mal vor sich hin gewurschtelt", Entscheidungen in der Kaffeeküche oder am grünen Tisch getroffen. Jeder Mitarbeiter und Partner hat eine Stimme, was jedoch nicht heißt, dass eine Holokratie auf jeden Wunsch eingeht und jede Idee zulässt. Allerdings gibt es einen transparenten Prozess, um sich einzubringen und darauf aufbauend dann zu einer Entscheidung zu gelangen. Es verläuft also nicht im Sande, sondern es wird zu einem Agendapunkt, der nachvollziehbar prozessiert wird und alle einbindet. Zur Entscheidungsfindung setzt die Holakratie ähnlich einem Konsent auf ein integratives Entscheidungsverfahren.
Ganz oder gar nicht
Anders als andere agile Modelle ist die Holokratie kein Rahmenwerk, mit dem Du mal “ein wenig rumprobieren kannst”. Zwar kannst Du die Holokratie durchaus im ersten Schritt nur in ausgewählten Unternehmensbereichen einführen, bevor Du ein ganzes Unternehmen damit beglückst. Allerdings verlangt die Holokratie ein “ganz oder gar nicht”. Das scheint auf den ersten Blick ein Nachteil, ist aber nur dann einer, wenn Du es nicht wirklich ernst meinst. Dann erlebe ich oft, dass ein wenig von allem rumprobiert wird. Ein bisschen Scrum dort, ein wenig OKR, hier noch ein paar andere neue Praktiken. Ohne jedoch wirklich was an den Machtstrukturen und Entscheidungsprozessen zu ändern. Für dieses “Wasch mich, aber mach mich nicht nass” gibt es in der Holokratie keinen Spielraum. Das ist für mich ein klarer Vorteil und kein Nachteil.
Holokratie im Unternehmen - Wie Holakratie in Unternehmen funktioniert
Wie eine Holokratie auch in etablierten Strukturen funktioniert und wie eine Holokratie vor allem schrittweise eingeführt werden kann, erzählt uns Anne de Rose im dno Podcast. Anna de Rose ist interne Holakratie-Trainerin bei der Firma Welser Profile, einem Metallverarbeiter in Familienhand mit 350 jähriger Firmengeschichte und 2.350 Mitarbeitern mit Stammsitz in Österreich.
Wir sprechen auch nochmal über den Aufbau und die Elemente einer Holokratie, die Du in diesem Blog schon kennengelernt hast. Darüber hinaus vor allem darüber, welche Erfahrungen Anne bei der Einführung der Holokratie gesammelt hat. Dazu ein kurzer Auszug an erfolgskritischen Punkten bei der Einführung der Holakratie, alles weitere im Podcast selbst.
• Leadership-Commitment
• Professionelle Begleitung
• Kernteam von eigenen Mitarbeitern
• Prototypen in kleinen Schritten
• Widerstand bei Mitarbeitern
• Aufgabe von hierarchischen Stellen / Karrierepfade
Eine Liste von deutschen Unternehmen, die von sich sagen, dass sie holokratisch arbeiten, findest Du auf der Holacracy Webseite bzw. in folgendem Airtable.
Fazit - Komplettes Betriebssystem für eine agile Organisation
Die Holokratie liefert ein vollumfängliches und komplettes Betriebssystem für Organisationen jeder Größe unabhängig von ihrer Branche oder Geschäftsmodell. Dabei ist die Holacracy auch das kompletteste Managementsystem, bei dem es auch keine Hintertürchen mehr gibt für alte Routinen. Damit wird aber auch die Anzahl der Unternehmen, die sich wirklich trauen, eher dünner, weil Du dafür ein Top Management und Eigentümer brauchst, die tatsächlich von Selbstorganisation überzeugt sind und die Form der Autonomie überhaupt zulassen wollen und können.
Viel Erfolg dabei.
Andreas Diehl
Vom Kenner zum Könner
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