Dunning-Kruger-Effekt – Von Selbstüberschätzung und gefährlichem Halbwissen
Stell dir folgende Situation vor: Dein Transformations-Team arbeitet intensiv an der Einführung der OKR Methode. In einem Meeting erklärt der Vorstand, er würde nicht verstehen, wieso das alles so lange dauert. Schließlich hat er doch einen Golf-Kumpel, der ihm erklärt hat, wie OKR geht. Das sei doch alles sehr einfach. Kommt dir bekannt vor? No hard feelings. Der Vorstand ist dem Dunning-Kruger-Effekt erlegen, die maßlose Überschätzung des eigenen Wissens trotz fehlender Kompetenz.
In diesem Beitrag erkläre ich dir den Dunning-Kruger-Effekt, wer auf dem Mount Stupid wohnt und was das alles mit dem Hochstapler-Syndrom zu tun hat.
Was ist der Dunning-Kruger-Effekt?
Der Dunning-Kruger-Effekt ist eine kognitive Verzerrung, durch die Menschen mit geringer Kompetenz in einem Bereich dazu neigen, ihre Fähigkeiten in genau jenem Bereich zu überschätzen. Das Dunning-Kruger-Syndrom ist also die fehlende Metakompetenz, die eigene Kompetenzen objektiv zu beurteilen. Das heißt, inkompetente Menschen sind zu inkompetent, um ihre Inkompetenz zu erkennen.
Ursprung des Dunning-Kruger-Effekts
Der Dunning-Kruger-Effekt ist nach David Dunning und Justin Kruger benannt. In ihren Studien haben die beiden Sozialpsychologen das nach ihnen benannte Phänomen beim Verstehen von Texten, beim Schachspielen oder Autofahren beobachtet. Dabei waren Versuchsteilnehmer regelmäßig davon überzeugt, besser zu sein, als sie tatsächlich sind. Sogar bei Fantasiethemen wurde der Dunning-Kruger-Effekt beobachtet. So wussten in einer Studie 25% der Teilnehmer über frei erfundene Fachgebiete wie “Choramin” oder “Esoterische Ableitung” bestens Bescheid.
Der Gipfel des Mount Stupid
Den Dunning-Kruger-Effekt kannst Du auch bildlich darstellen. Der Gipfel der Ahnungslosigkeit ist der “Peak of Mount Stupid”, der von allen Menschen bewohnt wird, die unter dem Dunning-Kruger-Syndrom leiden. Mit zunehmendem Fachwissen sinkt dann das Selbstvertrauen, sie steigen in das Tal der Verzweiflung ab. Dies ist häufig mit der Einsicht verbunden “eigentlich nichts zu wissen”. Erst mit zunehmender Erfahrung und fachlicher Kompetenz steigt das Selbstvertrauen danach langsam wieder an. Es folgt ein langer Weg der Erleuchtung bis hin zum Guru.
Beispiele für den Dunning-Kruger-Effekt
Den Dunning-Kruger-Effekt kannst Du in vielen privaten und beruflichen Situationen beobachten. Grundsätzlich ist keiner vor dem Dunning-Kruger-Effekt gewappnet, hier ein paar Beispiele:
- Eine Kollegin hat ein paar Online-Tutorials zur Fotobearbeitung angeschaut. Danach ist sie sich sicher, dass sie den externen Grafikdesigner ersetzen kann.
- Der Vertriebsleiter ist überzeugt zu wissen, wie man erfolgreiche E-Commerce Projekte umsetzt. Schließlich hat er jahrelang Artikel über die Erfolge von Zalando in der Wirtschaftspresse verfolgt.
- Ein Frontend-Entwickler war bei einem Seminar mit dem Titel “Projektmanagement für Einsteiger”. Nun ist er überzeugt, selbst komplexe IT-Projekte managen zu können.
- Ein Amateur-Koch bereitet für Freunde einige Male erfolgreich verschiedene Gerichte zu. Daher glaubt er, so gut wie ein professioneller Koch zu kochen.
- Deine Nichte glaubt, sie sei eine professionelle Gitarristin, nur weil sie sich selbst mit YouTube-Tutorials ein paar Songs auf der Gitarre beigebracht hat.
- Fahranfänger halten sich für sehr gute Autofahrer.
Eine verwandte kognitive Verzerrung ist der “better-than-average-effect” (BTAE), von dem u.a Autofahrer und Studenten betroffen sind. Befragt nach den eigenen Kenntnissen, liegt die eigene Kompetenz immer über dem Durchschnitt. Was statistisch betrachtet natürlich unmöglich ist.
Dunning-Kruger-Effekt vs. Hochstapler-Syndrom
Manchmal wird der Dunning-Kruger-Effekt in einem Atemzug mit dem Hochstapler-Syndrom genannt. Während Menschen ihre eigene Kompetenz beim Dunning-Kruger-Effekt jedoch maßlos überschätzen, passiert beim Hochstapler-Syndrom genau das Gegenteil. Das heißt, Leute unterschätzen trotz viel Wissen und nachgewiesener Erfahrung ihre eigene Kompetenz. Unsere Großeltern würden sagen "Sie stellen ihr Licht unter den Scheffel.”
Hochstapler-Syndrom sorgt für Unterschätzung der eigenen Fähigkeiten
Das Hochstapler-Syndrom bezieht sich auf Menschen, die trotz Erfolgen und Kompetenzen kein Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten besitzen. Sie haben ständig Angst davor, als “Betrüger” entlarvt zu werden. So glauben sie, dass ihr Erfolg nicht auf Fähigkeiten beruht, sondern auf Glück, Zufall oder gar der Täuschung anderer. Daher auch die Bezeichnung als Hochstapler-Syndrom. Obwohl sie über Kompetenz und nachgewiesene Leistungen verfügen, haben Betroffene ein geringes Selbstvertrauen in ihre Fähigkeiten. Sie tendieren dazu, sich inkompetent oder fehl am Platz zu fühlen, weil sie sich auch im klaren sind, wie viel sie nicht wissen.
Auswirkungen des Dunning-Kruger-Effekts und des Hochstapler-Syndroms im beruflichen Alltag
Die Auswirkungen des Dunnings Kruger Effekt vor allem in Kombination mit dem Hochstapler-Syndrom führen zu vielen paradoxen Szenarien in Unternehmen, davon wollen wir uns einige anschauen.
Meetings und Workshops
In Meetings und Workshops kannst Du die beiden, den Dunning-Kruger-Effekt und das Hochstapler-Syndrom, in Aktion erleben. Kollegen, mit starker und gerne polarisierender Meinung, sind entweder echte Experten oder vom Dunning-Kruger-Effekt befallen. Andersherum sind sehr leise Kollegen entweder einfach demütige Anfänger oder sie leiden unter dem Hochstapler-Syndrom. Beides findest Du als Teilnehmer oder Moderator des Meetings am besten durch viele Fragen heraus. Mit dem Wissen um den Dunning-Kruger-Effekt solltest Du dich also nicht von ausgestrahlter Kompetenz beirren lassen, möglicherweise ist das nur ein Gruß vom Mount Stupid. Dagegen ermutigst Du die stillen Teilnehmer und potentielle "Hochstapler" am besten, indem Du immer wieder Einladungen aussprichst, sich an Diskussion zu beteiligen.
Entscheidungen
Gerade wenn es um wichtige strategische Entscheidungen geht, dann kann der Dunning-Kruger-Effekt fatale Auswirkungen haben. Schließlich werden eben jene wichtigen Entscheidungen besonders stark durch Kollegen beeinflusst, die unter dem Dunning-Kruger-Effekt leiden. Andersherum halten sich die vermeintlichen Hochstapler zurück und erheben trotz gegenteiliger Erfahrung und Einsichten kein Veto. Das führt zu schlechtem Urteilsvermögen und teuren Fehlentscheidungen. Dem wirkst Du am besten entgegen, indem du einer strukturierten Entscheidungsfindung folgst, dir bei wichtigen Entscheidungen Zeit nimmst und Experten hinzuziehst.
Digitale Transformation
Auch bei der Gestaltung der digitalen Transformation begegnet dir der Dunning-Kruger-Effekt sehr häufig. Es liegt in der Natur der Sache, dass es dazu wenig Erfahrungswerte gibt. Denn nur wenige Führungskräfte können von sich behaupten, schon einmal eine digitale Transformation erfolgreich durchlaufen zu haben. Das heißt, per Definition haben die meisten Manager wenig Erfahrung, geschweige denn digitales oder technisches Fachwissen. Hier einige typische Szenarien, bei denen mitunter das Dunning-Kruger-Syndrom am Werk war:
- Manager überschätzen ihre digitale und technische Kompetenz mit ihrer persönlichen Erfahrung als Anwender begründet.
- Entscheidungen für die Einführung von IT- und Softwaresystemen werden getroffen, ohne Fachexperten zu konsultieren.
- Die Wechselwirkung von technischen Systemen und der Ablauforganisation werden ignoriert, obwohl seit mehr als 50 Jahren bekannt ist, dass Organisationen hier zu irrationalen Entscheidungen tendieren (Conway’s Law).
- Die Komplexität von digitalen Projekten wird unterschätzt, es werden traditionelle Planungsverfahren angewendet.
- Unsicherheit in der strategischen Planung wird ignoriert und trotzdem langfristige Entscheidungen getroffen, statt durch konsequente agile Prozesse Risiko zu minimieren und Erfahrungen zu sammeln.
- Organisationen, Führungs- und Anreizsysteme werden immer noch wie zu Taylors Zeiten gestaltet. Obwohl gerade neurowissenschaftliche Erkenntnisse zeigen, dass Motivation vor allem das Ergebnis von Sinnhaftigkeit, Verbundenheit und Autonomie sind.
Wie kann man den Dunning-Kruger-Effekt vermeiden?
Am besten konterst Du das Dunning-Kruger-Syndrom, in dem Du mit einem “Beginners Mind” startest. Das heißt die demütige Einsicht, dass Du eigentlich nichts weißt. Zudem helfen dir die folgenden Maßnahmen den Dunning-Kruger-Effekt zu vermeiden.
- Experten fragen: Gerade bei wichtigen Entscheidungen solltest Du mehrere Experten konsultieren.
- Reflektion: Bewerte deine eigenen Fähigkeiten und Kenntnisse. Neigst Du eher zum Hochstapler-Syndrom oder Dunning-Kruger-Effekt? Stärken und Schwächen von dir und anderen zu bewerten, ist eine wichtige und erlernbare Metakompetenz.
- Feedback: Bitte Kollegen regelmäßig um ihre Meinung zu deiner Leistung. Das liefert wertvolle Einblicke und hilft, Fähigkeiten objektiver zu bewerten. Agile Techniken wie Retrospektiven helfen dabei, auch als Team zu lernen und Feedbacks zu teilen.
- Zusammenarbeit: Stelle Teams zusammen, in denen es echte Experten gibt und Teammitglieder, die keine Scheu davor haben, jemand auf seinen Dunning-Kruger-Effekt hinzuweisen. Eine inklusive und sichere Atmosphäre hilft den Hochstaplern, sich zu öffnen.
- Weiterbildung: Bereits das Wissen um den Dunning-Kruger-Effekt und das Hochstapler-Syndrom kann ihre schädlichen Auswirkungen minimieren. Darüber hinaus sorgst Du dafür, dass wichtige Wissenslücken geschlossen werden. Das gilt vor allem für Kompetenzen für die erfolgreiche Gestaltung der digitalen Transformation. Das führt zu echter Kompetenz und hoffentlich Expertentum.
- Coaching : Ein Agile Coach hilft Organisationen und Teams, strukturierte Lernräume zu schaffen und sich kontinuierlich zu verbessern.
- Transparenz: Sorge für deine hohe Transparenz, eine echte Outcome Orientierung und eine kontinuierliche Überprüfung des Fortschritts. Durch diese Transparenz lernt eine Organisation dazu. Erfahrung und Wissen steigen auch unter den Kollegen, die unter dem Dunning-Kruger-Effekt leiden.
Fazit – Weniger “Mount Stupid”, mehr “ich weiss, dass ich nichts weiss”
Veränderungen im Allgemeinen und die digitale Transformation im Speziellen sind von viel Unwissenheit und Unsicherheit geprägt. Das liegt in der Natur der Sache, schließlich geht es ja darum, aus dem heutigen Status Quo einen neuen, besseren Zustand zu erreichen. Jedoch sind Unternehmen und viele Führungskräfte historisch bedingt gewohnt, aus einer sicheren Haltung heraus zu agieren. Die fehlende Einsicht “nichts zu wissen” führt im schlechtesten Fall zu einem wiederkehrenden Auftreten des “Dunning-Kruger-Effekt”. Viel ratsamer und gesünder wäre, Unwissenheit zu akzeptieren, agiles Management zu praktizieren und vielleicht auch mal den ein oder anderen Experten zu fragen. Dann werden die Rufe vom Gipfel des Mount Stupid hoffentlich leiser.
Viel Erfolg dabei.
Andreas Diehl
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